Der wissenschaftliche Konsens ist eigentlich klar: Auch Elektroautos sind wegen des Strombedarfs für Akku-Produktion und Fahren für CO2-Emissionen verantwortlich, aber im Vergleich zu Verbrennern fallen diese ab einigen zehntausend Kilometern Laufleistung zunehmend geringer aus. Trotzdem werden immer wieder davon abweichende Erkenntnisse gemeldet – wobei sich zum Teil schon herausstellte, dass sie auf zweifelhaften Annahmen beruhen oder aus zweifelhaften Quellen stammen. Nicht anders scheint es bei einer neuen Elektroauto-Studie zu sein, die in dieser Woche für aufgeregte Schlagzeilen bis hin zu „Nach Diesel-Gate nun Elektro-Gate?“ sorgte: Auke Hoekstra, Forscher an der TU Eindhoven und regelmäßiger Aufklärer auf Twitter, hat sie sich zusammen mit einem Mathematiker genauer angesehen – und kommt wie in diesen Fällen üblich zu dem Schluss, dass wenig dahintersteht. Mit seiner freundlichen Genehmigung veröffentlicht teslamag.de hier leicht bearbeitet Hoekstras Twitter-Erklärungen dazu.
Desinformation von der Verbrenner-Lobby
„171 Wissenschaftler finden Rechenfehler, der beweist, dass Elektroautos nicht umweltfreundlicher sind“: Ungefähr so berichteten am Montag viele deutsche Zeitungen. Passender wäre allerdings eine andere Überschrift gewesen: Die Lobby für Verbrennungsmotoren versucht sich schon wieder in Desinformation.
Anlass für die mediale Aufregung war ein offener Brief an die EU-Kommission, geschrieben von der Verbrenner-Lobbygruppe Iastec; er basiert auf einer Berechnung, die von Wissenschaftlern aus dem Verbrenner-Bereich in einer Fachzeitschrift für Mathematik (?) veröffentlicht wurden. Ich muss zugeben, dass mich die mathematischen Details zunächst verwirrt haben. Sie kamen mir unnötig kompliziert vor, also habe ich meinen Freund Tom Brown gebeten, einen Blick darauf zu werfen. Er ist ein Quantenphysiker, der heute Energie-Modelle konstruiert – das bedeutet, dass er komplizierte Mathematik wirklich beherrscht.
Wie sich herausstellte, basiert der Beitrag auf einer ausgesprochen komplizierten und zugleich amateurhaften Art der Berechnung. Toms Urteil: In einer Fachzeitschrift, die sich tatsächlich mit Energie-Fragen beschäftigt, wäre er niemals veröffentlicht worden. Was also ist hier wirklich los? Warum kommt die neue Berechnung zu anderen Ergebnissen?
Fahren Elektroautos mit Kohlestrom?
Im Prinzip arbeiten die Autoren mit Grenzstrom (ohne diesen Begriff zu kennen). Die einfache Überlegung dahinter: Wenn man mehr Strom benötigt, als Sonne und Wind gerade liefern können, muss man Kohle verbrennen, was pro Kilowattstunde viel höhere Emissionen bedeutet. Man könnte also durchaus sagen, dass Elektroautos mit Kohlestrom fahren. Aber man könnte den zusätzlichen Strom auch der Produktion von Benzin zurechnen. Oder der Wasserstoff-Produktion. Oder einem anderen E-Treibstoff. Oder Wärmepumpen. Oder Beleuchtung. Oder eigentlich einfach allem. Bei dieser Methode kann man schlicht irgendeine Sache nehmen, die einem nicht gefällt, und sagen, ohne sie würde weniger Kohle verbrannt.
Diesen Trick habe ich auf Seite 16 meiner Publikation über die korrekte Berechnung von Elektroauto-Emissionen schon einmal vorgestellt. Außerdem analysiere ich ihn ausführlicher in meiner Antwort auf die Arbeit eines Wissenschaftlers bei Saudi Aramco. Kurz gesagt: Man muss den durchschnittlichen Strom-Mix verwenden, nicht den der zusätzlichen Einheiten. Bei dem Grenzstrom-Ansatz kommt Kohle für alles heraus, was man nicht mag. Das ist verführerisch, aber trotzdem falsch.
Aber das war noch nicht alles. Zusätzlich hat Iastec hat auch vergessen, dass Elektroautos im Jahr 2030 an Nachfragesteuerung im Stromnetz beteiligt sein werden. Sie werden also außerhalb der Spitzenzeiten laden, um das Netz nicht zu überlasten und billigeren Strom zu bekommen. Dadurch sinken die CO2-Emissionen dramatisch, denn bei Strom unterhalb der Spitzenlasten ist der Erneuerbaren-Anteil höher.
Strom-Mix wird in nächsten Jahren grüner
Darüber hinaus vergisst die Organisation, dass die Strom-Mischung im Lauf eines Elektroauto-Lebens grüner wird. Deutschland zum Beispiel will spätestens 2038 seine Kohlekraftwerke außer Betrieb nehmen und sie schon vorher immer weniger nutzen. Das spielt sich während der Lebensdauer heutiger Elektroautos ab und muss deshalb berücksichtigt werden. Darüber (ich bezeichne es als Fehler 3) habe ich mehr in meiner Publikation in Joule und detaillierter in einer weiteren Studie geschrieben.
Zusammenfassung: Die Studie, die der EU-Kommission zeigen will, dass die CO-Emissionen von Elektroautos unterschätzt werden, enthält keine neuen Informationen. Eher belegt sie, dass die Autoren ziemlich ahnungslos sind.