Bild: Georg Hotz (Archiv)
Das Volk hat gesprochen: Am sehr frühen Samstag deutscher Zeit startete Tesla-CEO Elon Musk als neuer Besitzer von Twitter dort eine Umfrage, ob dem früheren Präsidenten Trump die Rückkehr zu dem Dienst erlaubt werden solle, und erklärte dazu auf Lateinisch, die Stimme des Volkes sei auch die Gottes. Eine knappe Mehrheit sprach sich dafür aus, und am Sonntagmorgen war der seit Anfang 2021 gesperrte Trump-Account wieder aufrufbar – aber noch nicht aktiv. Für Musk erfüllte die Umfrage den Zweck, viele Teilnehmer anzuziehen und heiß diskutiert zu werden – der neue Chef sorgt dafür, dass Leben in der Twitter-Bude bleibt. Sorgen bereitet sein Übernahme-Stil allerdings auf der Infrastruktur-Seite.
Musk mit nächtlicher Twitter-Gruppe
Denn nachdem er kurz nach seinem Einzug mit Waschbecken in das Twitter-Hauptquartier etwa jeden zweiten Beschäftigten entlassen hatte, legte Musk in dieser Woche nach Berichten nach. Er soll eine E-Mail mit einer anderen Art von Twitter-Umfrage an das gesamte restliche Team verschickt haben: Wer nicht mit drei Monaten Frist gekündigt werden wollte, sollte bis Donnerstagabend auf einen Ja-Link klicken, um die eigene Bereitschaft zu bestätigen, intensiv und exzellent an Musks „Twitter 2.0“ zu arbeiten.
Wohl im Rahmen dieser Gelegenheit hätten weitere etwa 1200 Beschäftigte Twitter verlassen, berichtet die New York Times – und Musk rief verbleibende Programmierer für Freitagabend notfalls per Flugzeug ins Hauptquartier. Gegen 1.30 Uhr Ortszeit am Samstagmorgen dann schrieb der Tesla- und Twitter-Chef, er verlasse jetzt den „Code-Review“, und veröffentlichte ein Foto von sich umringt von gut gelaunten Männern sowie drei Frauen.
Reinstate former President Trump
— Elon Musk (@elonmusk) November 19, 2022
Motiviert wirkende Mitarbeiter hat Twitter also noch – nach Angaben von Musk war es in den Büros in San Francisco an dem Abend sogar so voll wie nie zuvor. Ausgeschiedene Beschäftigte und Beobachter von außen warnen allerdings in zunehmender Zahl davor, dass der vom Tesla-Chef radikal verschlankte Dienst kommenden Herausforderungen nicht gewachsen sein könnte. Die erste davon wird die Fußball-Weltmeisterschaft sein, die am Sonntagnachmittag beginnt.
Technische Herausforderung reizt Hacker
Ein Twitter-Nutzer, der sich selbst als Entwickler für Site Reliability (SRE), also den reibungslosen Betrieb großer Websites, beschreibt, stellte zum Beispiel 29 Punkte zusammen, die dem neuen Besitzer unschöne Überraschungen bereiten könnten, wenn er nicht mehr die richtigen Leute an den richtigen Stellen hat. Ihm fielen mehrere Katastrophen-Szenarien ein, die teils noch ergänzt wurden. Kleinere Schnitzer gab es bei Twitter in dieser Woche tatsächlich schon: Nutzer meldeten, zeitweise Beiträge von für sie geblockten Konten zu sehen, und manche Nachricht wurde beim wiederholten Aufruf erst einmal als nicht mehr verfügbar angezeigt.
I've seen a lot of people asking "why does everyone think Twitter is doomed?"
As an SRE and sysadmin with 10+ years of industry experience, I wanted to write up a few scenarios that are real threats to the integrity of the bird site over the coming weeks.
— Mosquito Capital (@MosquitoCapital) November 18, 2022
Mit solchen Schwächen dürften Nutzer bei Twitter eine Weile leben müssen, denn statt Perfektion scheint Musk auch bei Tesla eher eine schnelle Umsetzung seiner Wachstumspläne anzustreben. Bei dem Elektroauto-Unternehmen hat das bislang gut funktioniert. So ließ Tesla seine Kunden lange auf Funktionen wie eine Scheibenwischer-Automatik warten, die in anderen Autos selbstverständlich ist, und speist Kunden in Europa mit einem seit vielen Monaten kaum verbesserten Autopilot-System ab. Trotzdem gibt es keinen Auto-Hersteller und kaum ein anderes Unternehmen weltweit mit höherem Börsenwert.
https://twitter.com/pmarca/status/1593864520815898626
Zudem dürfte die schiere Größe der technischen Herausforderung dabei helfen, dass Musk trotz seiner Eigenheiten und hohen Ansprüche weiter Zugriff auf kluge Köpfe bekommt. Ein früherer Twitter-Entwickler schrieb differenziert, er habe nichts gegen Musk, sei aber zu dem Schluss gekommen, dass der verlangte „hardcore“-Einsatz für ihn ohne klare Vision und Gegenleistung auch mit Blick auf seine Familie nicht attraktiv sei. Er wisse genau, wo er als Programmierer in seinen Zwanzigern jetzt arbeiten wollte, befand dagegen Marc Andreessen, berühmt als Web-Pionier und heute wichtiger Wagniskapitalgeber, und dürfte Musks Twitter gemeint haben. Und der Hacker Georg Hotz (s. Foto oben), der zuerst das iPhone knackte und schon einmal als Autopilot-Programmierer für Tesla arbeiten sollte, meldete sich freiwillig für ein Praktikum in San Francisco.