Bild: Mercedes
Nach langer Vorbereitung ging es dann doch schnell: Vergangene Woche hat sich die Kommission UNECE, in der internationale Vorgaben unter anderem für Autos in Europa verabredet werden, hinter einen Entwurf gestellt, der auf Autobahnen automatisches Lenken auch mit Spur-Wechseln bei bis zu 130 Stundenkilometern erlaubt. Das hört sich nach einer idealen Neuerung für Tesla an, dessen Autopilot-System im Geltungsbereich der UNECE-Regeln erst vor kurzem erneut beschnitten werden musste. Allerdings soll es die regulatorischen Anforderungen für diese nächste Stufe noch nicht erfüllen, weshalb vorerst wohl nur Mercedes davon profitieren wird.
Tesla-System nicht für Level 3 zertifiziert
Zu dieser Einschätzung kommt der Software-Berater Steven Peeters, der sich in YouTube-Videos intensiv mit den Regeln für autonomes Fahren in Europa beschäftigt und dabei besonders Tesla im Blick behält. Er hatte schon zuvor auf den zur Abstimmung stehenden Entwurf hingewiesen – und darauf, dass er an den für das Autopilot-System geltenden Beschränkungen nichts ändern würde. Denn die ergeben sich aus anderen UNECE-Vorschriften (R.79), an denen jetzt nicht gearbeitet wurde.
Die für ein Automated Driving System, das wenigstens bis 60 km/h auf Autobahnen fahren darf, hatte schon vorher nur Mercedes mit seinem Drive Pilot für das Elektroauto EQS und die neue S-Klasse erfüllt. Zugelassen ist es bislang nur in Deutschland, und die jetzt grundsätzlich erlaubten weiterreichenden Fähigkeiten können laut einer UNECE-Mitteilung ab 2023 nationales Recht werden. Doch wie Peeters in einem neuen Video erklärt, müsste sich Tesla zunächst dafür zertifizieren lassen, was mit aktueller Autopilot-Software und teils auch Hardware nicht möglich sei.
Denn selbst in seiner neuesten Beta-Form FSD in Nordamerika ist der Autopilot immer noch ein Assistenz-System, bei dem die Person am Steuer niemals die Verantwortung abgibt. International wird das auch als Level 2 von fünf Stufen auf dem Weg zu vollständig autonomen Autos bezeichnet, und eigenständiges Fahren unter bestimmten Umständen wie bei Mercedes heißt Level 3. Weiterhin ist auch das nur erlaubt, wenn zum Beispiel die Straße trocken und die Sicht gut ist, erklärt Peeters in dem neuen Video. Aber Tesla habe ohnehin keine Zertifizierung dafür beantragt und würde sie aktuell auch nicht bekommen. Bei früheren Model S und Model X (neue gibt es in Europa noch nicht) fehle schon die dafür nötige Innen-Kamera zur Fahrer-Beobachtung.
„Riesiger Mercedes-Vorteil möglich“
Bei Model 3 und Model Y dagegen gibt es sie, sodass Tesla für sie laut Peeters möglicherweise nur vorgeschriebene Funktionen wie Erkennen von Einsatz-Fahrzeugen oder Bilden von Rettungsgassen im Stau per Software-Update nachreichen müsste, um sich nach Level 3 zertifizieren zu lassen. Mit Blick auf die nötige Sensor-Redundanz zeigte er sich aber nicht so sicher – und vor allem geht der Software-Experte davon aus, dass Tesla wenig Interesse an der Zwischenstufe hat: Das Unternehmen konzentriere sich stattdessen auf die Weiterentwicklung der FSD-Software in den USA, auch wenn CEO Musk versuche, das Europa-Publikum bei Laune zu halten. Im Ergebnis werde Mercedes ab 2023 möglicherweise einen „riesigen Vorteil“ beim autonomen Fahren gegenüber Tesla haben, wenn Deutschland die neue Regel in Kraft setzt und der Hersteller sie einhalten kann.