Bild: Volkswagen (Archiv)
In einem jahrzehntealten deutschen Konzern mit Großaktionären vom Staat und aus der Gründerfamilie, mehr oder weniger unabhängigen Marken sowie einem starken Betriebsrat muss der Vorstandschef mehr im Griff haben als nur technische und wirtschaftliche Fragen: Die Führung von Volkswagen ist auch eine hochgradig politische Aufgabe. Übernommen hat sie 2018 der frühere BMW-Entwicklungsvorstand Herbert Diess, der dann so entschlossen wie wohl kein anderer Autoboss weltweit auf Tesla-Kurs ging. In einem langen Beitrag im Internet hat er diesen Kurs jetzt bekräftigt und zugleich Fehler eingeräumt. Doch was sich insgesamt offensiv anhört, könnte als Verteidigungsversuch in einem akuten Kampf um seinen Posten zu verstehen sein.
Zehn neue MEB-Elektroautos in 2021
Diess kam im Jahr 2015 zunächst als Vorstandschef der Marke Volkswagen in den VW-Konzern. Diese Position musste er nach einem internen Konflikt in diesem Juni bereits wieder aufgeben, aber seit April 2018 ist er zusätzlich Vorstandschef des gesamten Konzerns. Bei seinem Antritt bei VW habe er einen Strategie-Workshop für die Marke organisiert, berichtete Diess jetzt auf LinkedIn. Daraus sei die Strategie Transform 2025 einschließlich der eigenen Elektroauto-Plattform MEB hervorgegangen. Und er habe „selten erlebt“, dass nach fünf Jahre so viele geplante Maßnahmen auch umgesetzt worden seien.
Mit dem VW ID.3 ist inzwischen das erste Elektroauto auf der rein elektrischen MEB-Basis auf dem Markt, laut Diess sollen allein 2021 zehn weitere Modelle von fünf Volkswagen-Marken folgen, wohl beginnend mit dem VW ID.4. Doch der Vorstandschef ließ keinen Zweifel daran, dass er Tesla immer noch voraus sieht. Im April 2020 habe es einen weiteren Workshop gegeben, dieses Mal mit dem Titel „Mission T“ und auch mit Vertretern von Audi und Porsche, bestätigte er Medienberichte aus dieser Zeit. „Was müssen wir in den nächsten sechs Monaten erreicht haben, damit wir Tesla bis 2024 technisch einholen?“, habe die Leitfrage dafür gelautet.
Eines der Ergebnisse damals war, dass ein separates Team unter der Führung eines verdienten Audi-Ingenieurs mit Zugriff auf Konzernressourcen ein Elektroauto entwickeln soll, das den Produkten von Tesla in jeder Hinsicht zumindest ebenbürtig ist. Zunächst war von einem Projekt Artemis dafür die Rede, später hieß es Landjet. Außerdem beschloss VW, die eigene Software-Kompetenz deutlich auszubauen. Zum Fortschritt dieser Initiativen berichtete Diess jetzt nur, die neue Software-Organisation sei im Oktober gestartet, und er sei sich sicher, auch die Ziele aus dem Tesla-Workshop „konsequent ins Ziel bringen“ zu können.
VW-Chef soll um Posten kämpfen
Gleichzeitig übte der VW-Konzernchef sowohl Kritik am „System Wolfsburg“ als auch an sich selbst. Er schreibt von Defiziten bei seinem Amtsantritt und dem Versuch, „alte verkrustete Strukturen aufzubrechen“, aber auch davon, seinen „gelegentlich konfrontativen“ Führungsstil nach fünf Jahren bei VW hinterfragt und angepasst zu haben. Trotzdem sei er der festen Überzeugung, dass es sich lohne, beim Wandel voranzugehen, erklärt Diess zum Abschluss. In zehn Jahren werde das wertvollste Unternehmen der Welt wieder ein Mobilitätsunternehmen sein, schreibt er, ohne den Namen Volkswagen oder auch Tesla zu nennen.
All das hört sich trotz des eingeräumten Rückstands auf Tesla selbstbewusst und offensiv an. Doch laut dem Handelsblatt befindet sich Diess mitten in einem neuen Machtkampf mit dem Betriebsrat in Wolfsburg, der „kurzfristig“ zu seiner Ablösung führen könne. Der Konzernchef soll frühzeitig auf eine Verlängerung seines Vertrages gedrängt haben, der im April 2023 ausläuft, als Bestätigung dafür, dass der Aufsichtsrat seinen Kurs unterstützt. Schon bald stehe eine wichtige Sitzung des Gremiums auch zu Personalfragen an, berichtet dazu das Manager-Magazin. Diess‘ LinkedIn-Beitrag sei vor diesem Hintergrund als Werbung für seine Vertragsverlängerung zu verstehen.