Im Prinzip gehen alle etablierten Autohersteller die durch Tesla gestellte Elektroauto-Herausforderung auf dieselbe Weise an: Sie versuchen, noch möglichst hohe Gewinne mit ihrem viel größeren Verbrenner-Geschäft zu machen, um damit den Umstieg auf elektrisches und zunehmend digitalisiertes Fahren zu finanzieren. Angetrieben werden sie dabei nicht nur von Tesla, sondern auch von strengeren CO2-Vorgaben, die mit Elektroautos bemerkenswert leicht zu erfüllen sind. Dabei gelten allerdings Ausnahmen für Nischenhersteller, und die dürften mit dafür verantwortlich sein, dass zum Beispiel Ferrari das Performance-Potenzial der Elektroauto-Technologie bislang ungenutzt lässt. Mit einem neuen CEO scheint das Unternehmen jetzt aber verspätet eine Zeitenwende einzuläuten.
Ex-CEO sah wenig Elektroauto-Chancen
Wohl auch wegen der kommenden CO2-Regeln in der EU wurde Ferrari Anfang 2016 wieder zu einem unabhängigen Unternehmen: Der zwischenzeitliche Besitzer Fiat-Chrysler Automobiles (FCA) brachte den Hersteller begehrter Sportwagen zu einem kleinen Teil an die Börse und überließ die restlichen Anteile den eigenen Aktionären. Um die ab 2020 ernsthaft geltenden EU-Vorschriften einzuhalten, musste FCA ohnehin schon für viel Geld einen CO2-Pool mit Tesla bilden. Um auch die zu erwartenden massiven Ferrari-Überschreitungen auszugleichen, hätte aber womöglich selbst das Tesla-Guthaben nicht mehr ausgereicht.
Also wurde Ferrari zum abgespaltenen Nischenhersteller mit dem Vorteil, dass für ihn allein weitaus weniger strenge CO2-Vorgaben gelten. Und für den im Dezember 2020 zurückgetretenen CEO Louis Camilleri schien das zu bedeuten, dass Elektroautos kaum gebraucht werden. In seiner Lebenszeit würden sie bei Ferrari keine 50 Prozent Anteil mehr erreichen, sagte der heute 66-Jährige kurz vor seinem Abschied dort, und 100 Prozent niemals. Bislang hat das Unternehmen elektrisch einzig den Plugin-Hybrid SF90 Stradale (s. Foto oben) zu bieten.
Jetzt aber berief das Unternehmen überraschend einen neuen CEO, den man als eine Art Gegenentwurf zu dem früheren Konsumgüter-Manager Camilleri betrachten: Benedetto Vigna kommt aus einer leitenden Position bei dem Chip-Hersteller STMicroelectronics und war laut einem Bericht von The Telegraph unter anderem an der Entwicklung von Sensor-Technologie für Apples iPhones beteiligt. Damit hat er zum einen einen technischen Hintergrund. Und zum anderen entstammt er genau der Branche, deren Bedeutung für die moderne Autoindustrie durch hartnäckigen Mangel an ihren Produkten aktuell nur zu deutlich wird. Selbst Tesla-CEO Elon Musk hat sich vor kurzem beklagt, dass aktuell kaum genügend Chips zu bekommen seien.
Ferrari mit wichtiger Chip-Kompetenz
Engere Beziehungen zu Chip-Herstellern sollen in der Branche allgemein zukünftige Engpässe dieser Art verhindern. Diesen Teil dürfte der neue Ferrari-CEO schon einmal gut erledigen können – und zugleich die technische Kompetenz mitbringen, die für Entwicklungskooperationen erforderlich ist.
Die zweite und damit verbundene Veränderung bei Ferrari dürfte darin bestehen, dass auch dort die Elektroauto-Entwicklung forciert wird. Denn wie die Nachrichten-Agentur Bloomberg berichtet, beginnt sich der bisherige Verzicht darauf negativ auf den lange gut gehaltenen Börsenkurs auszuwirken. Als Teil des VW-Konzerns hatte Porsche anders als Ferrari sozusagen keine andere Wahl, verkauft von seinem Elektroauto Taycan inzwischen aber fast so viele wie vom Verbrenner-Klassiker 911. Anders als zumindest von der früheren Ferrari-Riege erwartet, scheinen also zumindest nicht wenige Kunden lieber schneller unterwegs sein zu wollen als hauptsächlich lauter, wenn man ihnen die Wahl lässt.