Nach Tesla haben es noch nicht viele Startups aus dem Westen geschafft, mit ihren Elektroauto-Plänen in die Phase der Produktion zu kommen, aber Rivian gehört dazu. Das ebenfalls kalifornische Unternehmen ist Ende 2021 an die Börse gegangen und wird von manchen als „Tesla ohne die Memes“ bezeichnet. Sein Pickup R1T wird seit vergangenem Herbst ausgeliefert, aber das Produktionsziel für 2022 wurde vor kurzem halbiert. Denn wie die gesamte Auto-Branche hat Rivian mit Chip-Mangel zu kämpfen – aber der ist nach seiner Ansicht noch relativ unbedeutend, weil in Zukunft viel grundlegendere Lieferketten-Probleme bei Elektroautos drohen.
„90-95% der Batterie-Lieferkette fehlen“
Das sagte der Rivian-Gründer und -CEO RJ Scaringe in einem Gespräch mit dem Wall Street Journal, wie die Finanzzeitung am Montag berichtete. „Halbleiter sind nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was wir in den nächsten zwei Jahrzehnten erleben werden“, wird er zitiert. Denn bei Chips gebe es nur ein relativ kleines Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, und schon das habe zu großen Problemen für viele Branchen wie vor allem die Auto-Industrie geführt. Etwas Ähnliches werde bei Batterien passieren, „aber eine Größenordnung schlimmer“.
Sehr einfach ausgedrückt würden derzeit weltweit nur etwa 10 Prozent der Batterie-Kapazität existieren, die in zehn Jahren gebraucht werde, erklärte Scaringe. 90-95 Prozent der benötigten Lieferkette würden also schlicht noch nicht existieren. Knappheit werde sich in allen Bereichen einstellen, bei Rohstoffen und deren Verarbeitung ebenso wie bei der eigentlichen Produktion. Laut Marktforschern sind im Westen zwar unter anderem von Tesla neue Batterie-Fabriken mit mehr als einer Terawattstunde Kapazität bis 2030 geplant, aber dabei wird zu wenig an die dafür nötigen Rohstoffe gedacht.
Nach Tesla bewegen sich mittlerweile auch etablierte Hersteller wie Volkswagen oder Ford tiefer selbst in die Wertschöpfungskette hinein und schließen direkte Verträge mit Rohstoff-Unternehmen. Elon Musk erinnerte vor kurzem sogar an Tesla-Pläne für eigene Gewinnung und Verarbeitung von Lithium für den Fall, dass dessen extremer Preis nicht bald wieder sinkt. Rivian als vergleichsweise kleiner Hersteller glaubt offenbar, darauf verzichten zu können. Laut dem WSJ-Bericht will CEO Scaringe zwar in Batterie-Hersteller sowie zusammen mit ihnen investieren und auch Zellen selbst entwickeln und produzieren, doch von eigenen Rohstoff-Aktivitäten war nicht die Rede.
Rivian-Chef umwirbt Halbleiter-Hersteller
In einem Interview mit Bloomberg schilderte Scaringe außerdem, wie Rivian mit der aktuellen Chip-Knappheit umgeht. Ähnlich wie in der Vergangenheit Musk für Tesla wies er darauf hin, dass schon ein einziges fehlendes Teil die Produktion eines ganzen Autos verhindern könne. Mit einer Normalisierung rechnet er nicht vor 2023, denn anders als bei anderen Auto-Komponenten gebe es kurzfristig keine Chance, die Produktion zu erhöhen. Also kämpfen laut Scaringe alle um ein Stück vom begrenzt großen Kuchen, und die Chip-Hersteller können sich aussuchen, wen sie beliefern. Als Elektroauto-Hersteller müsse man sie derzeit überzeugen, das eigene Unternehmen als Kunden zu wählen. Dabei komme es auch auf persönliche Beziehungen an, weshalb Scaringe nach eigener Aussage „ständig mit Halbleiter-CEOs telefoniert“.