Theoretisch könnte Tesla mit seiner universell angelegten FSD-Software immer noch alle anderen Hersteller übertreffen, bei der konkreten Einführung von zugelassenen Autonomie-Funktionen aber gerät das Unternehmen vorerst ins Hintertreffen. So bekam Mercedes Ende 2021 vom Kraftfahrt-Bundesamt die weltweit erste Zulassung für ein Level-3-System, bei dem anders als bei Tesla nicht mehr durchgängig der Mensch am Steuer verantwortlich ist. Mit dem Elektroauto EQS und der S-Klasse ist es in Deutschland bereits verfügbar. Vor Jahresende sollen zwei US-Bundesstaaten folgen, und in einem davon zeigte Mercedes jetzt, was sein Drive Pilot kann.
Mercedes lässt Tesla-Fahrer testen
Als „Revolution beim automatisierten Fahren“ kündigte das deutsche Unternehmen am Mittwoch den Verkaufsstart für Drive Pilot in den USA an und bezeichnete das System erneut als weltweit erstes, das nach SAE Level 3 zertifiziert sei. Zugelassen ist es bislang in den Bundesstaaten Kalifornien und Nevada und soll bald ebenfalls für EQS und S-Klasse bestellbar sein. Die ersten Fahrzeuge mit Drive Pilot würden voraussichtlich vor Jahresende dort unterwegs sein.
Im Vorfeld dieser Ankündigung hat Mercedes offenbar eine ganze Reihe von Journalisten eingeladen, das System auszuprobieren. Jedenfalls erschienen am Mittwoch fast zeitgleich mehrere Tests damit, unter anderem vom Kalifornien-Korrespondenten der deutschen Zeitschrift Wirtschaftswoche. Der fährt nach Angaben in seinem Bericht normalerweise ein Tesla Model 3 und zog – ebenso wie andere Tester – einige Vergleiche zwischen dem deutschen und dem amerikanischen System.
Flüssige Spurwechsel – auf Level 2
Für den Mercedes-Teil davon musste er erst einmal einen Stau suchen, denn wie in Deutschland lässt sich der Drive Pilot nur auf Autobahnen und bei Geschwindigkeiten unterhalb von 40 Meilen pro Stunde (bzw. 60 km/h) einsetzen. Das System übernimmt dann Lenken und Abstand-Halten, und die Person am Steuer kann sich anderen Aktivitäten auf dem Fahrzeug-Bildschirm zuwenden. Allerdings müssen die Augen geöffnet und im Blick einer Innenkamera bleiben, und auf Anforderung muss der Fahrer innerhalb von 10 Sekunden übernehmen.
Das Model 3 des WiWo-Autors ist laut seinem Bericht mit der Option Enhanced Autopilot (EAP) ausgestattet, die in den USA unter anderem automatische Spurwechsel auf Autobahnen erlaubt. Die vollen Möglichkeiten der Beta-Software FSD einschließlich weit reichender Assistenz in Städten bietet allerdings erst das gleichnamige Tesla-Extra für ungefähr den doppelten Preis. Der Drive Pilot wiederum kann bislang keine Spuren wechseln. Dafür muss man auch bei Mercedes auf Level 2 zurück, wo dann die Funktion Distronic laut dem deutschen Test die Aufgabe flüssiger übernimmt als der gewohnte Tesla.
Mercedes-Pilot braucht HD-Karten
Ein Tester von Electrek störte sich in diesem Zusammenhang daran, dass die Unterscheidung zwischen assistierter Stufe 2 und zeitweise autonomer Stufe 3 verschwimmen könnte, obwohl Mercedes viel dafür tut, dass das nicht geschieht. Ansonsten zeigt er sich angetan davon, wie schnell er dem Stau-Piloten vertraut habe. Er habe viel Zeit mit dem Tesla-Autopiloten und der FSD-Software dafür verbracht, verzichte aber wegen vieler merkwürdiger Entscheidungen meistens darauf, schreibt der Autor. Bei langsamer autonomer Fahrt im Mercedes EQS dagegen habe er bald kaum noch auf die Straße geachtet.
Grundsätzlich anders als Tesla und damit wie die meisten anderen Auto-Hersteller zeigt sich Mercedes in seiner Presse-Mitteilung überzeugt, dass für autonomes Fahren mehr Sensoren erforderlich sind als nur Kameras. Bei Drive Pilot bedeutet das unter anderem zusätzlich Lidar, Mikrofone und eine Heckkamera zum Erkennen von Einsatz-Fahrzeugen sowie Nässe-Sensoren. Ebenfalls anders als bei Tesla ist Voraussetzung für die Nutzung laut Electrek, dass das befahrene Gebiet hochaufgelöst kartiert ist. In Kalifornien soll das zunächst in Los Angeles, San Francisco mit Bay Area, Sacramento, San Diego, Las Vegas und auf den Freeways dazwischen der Fall sein.