Als Tesla im März 2020 in Nordamerika die ersten Model Y auslieferte, hatte sich das zwar kurz vorher angedeutet, war insgesamt aber trotzdem eine faustdicke Überraschung. Denn eigentlich war Tesla damals mit Blick auf seine Elektroauto-Ankündigungen schon als so wenig treffsicher bekannt, dass selbst Wohlmeinende den Ausdruck „Elon Time“ für das spezielle Zeitverständnis von CEO Elon Musk zu benutzen begannen. Mit dem Frühstart des Model Y schien dieser Begriff plötzlich genau die umgekehrte Bedeutung zu bekommen. Doch wie eine Übersicht eines Profi-Anlegers zeigt, war und ist Tesla insgesamt bei der großen Mehrzahl seiner Produkte zeitlich klar im Hintertreffen.
Anleger mit Tesla-Termingrafik
Taylor Ogan ist der auf Twitter sehr aktive CEO der kleinen US-Anlagefirma Snow Bull Capital. Manchmal wird er für einen Tesla-Gegner gehalten, aber das ist relativ: Wie Ogan betont, macht er grundsätzlich keine Short-Geschäfte, hat selbst in das Unternehmen investiert und traut ihm viel zu – nur eben nicht alles. Konkrete Zweifel hat er zum Beispiel mit Blick auf die Ankündigungen von Tesla und CEO Musk zu autonomem Fahren und zu eigener Batterie-Produktion geäußert.
Unter dem Titel „Tesla Timeline“ hat Ogan auf Twitter jetzt 23 Projekte mit einem Zeitstrahl von ihrer Ankündigung bis zur Auslieferung zusammengestellt. Wenn etwas wie das Model Y früher als angekündigt kam, ist der graue horizontale Zeitbalken ab dem tatsächlichen Start bis zum anfangs genannten Termin grün eingefärbt, bei Verspätungen nach dem umgekehrten Prinzip rot.
Though Tesla is almost always late, it has been early on its two most important products to date. #ElonTime $TSLA @elonmusk pic.twitter.com/NZAmjMbmpS
— Taylor Ogan (@TaylorOgan) May 3, 2021
Dabei wird gleich in Erinnerung gerufen: Als das lediglich zweite von den insgesamt 23 Tesla-Projekten war auch das Model 3 früher bei Kunden als anfangs in Aussicht gestellt. Das mag in Vergessenheit geraten sein, weil Tesla nach den ersten Auslieferungen Ende 2017 enorme Probleme hatte, die Produktion wie vorgesehen zu steigern. Das Unternehmen geriet dadurch in eine zweijährige Dauerkrise bis Mitte 2019, wie CEO Musk später berichtete. Aber das kurze grüne Stück im Strahl für das Model 3 hat es sich damit verdient.
Autopilot-Aussagen einzeln aufgeführt
Das Grün für das Model Y erstreckt sich von März bis Ende Juli 2020 etwas länger, ansonsten aber ist der Tesla-Terminüberblick von Balken mit langem roten Ende dominiert. Wie Ogan auf Twitter-Nachfrage erläuterte, enthält die Grafik nur Produkte, keine Fabriken wie die in China, die überraschend schnell fertig wurde. Damit meint er nicht nur Elektroautos, sondern auch Software-Funktionen oder die eigenen Tesla-Batterien. Mit dem Model 3 und dem Model Y seien aber die zwei wichtigsten Ankündigungen überpünktlich erfüllt worden.
Verspätet war dagegen das Tesla Model X, das laut der Übersicht für Ende 2013 angekündigt und erst zwei Jahre später tatsächlich zu haben war. Mehrere noch heute offenen Ankündigungen stammen von vor etwa fünf Jahren. Ende 2015 soll Tesla erstmals vollautonomes Fahren für Ende 2018 in Aussicht gestellt haben, im dritten Quartal 2016 einen Minibus innerhalb von drei Jahren. Nicht unbedingt besser wird der rote Gesamteindruck dadurch, dass Ogan mehrere Detail-Aussagen in Zusammenhang mit dem Autopilot-System einzeln aufführt.
Warten auf neue Tesla-Elektroautos
Aber auch bei Elektroautos hat sich Tesla offenbar wieder angewöhnt, die Kunden länger warten zu lassen. Schon im dritten Quartal 2018 kündigte das Unternehmen laut Ogan ein Elektroauto für 25.000 Dollar an. Der Termin dafür ist zwar noch nicht verstrichen, doch bis Ende dieses Jahres ist nicht mehr mit so einem Basis-Tesla zu rechnen – beim Batterie-Tag im September 2020 kündigte Musk es für 2023 an. Ende 2019 stellte Tesla zudem den Cybertruck vor, der vor Ende dieses Jahres aufgeliefert werden sollte; nur „mit Glück“ könnte das gelingen, sagte der CEO dazu im Januar.
Vom deutschen Model Y wurde in den vergangenen Tagen ebenfalls klar, dass es nicht wie zunächst anvisiert ab Mitte dieses Jahres zu haben sein wird. Das trägt nicht zu dem Verspätungsbild in der Twitter-Grafik bei, weil sie wie erwähnt keine einzelnen Fabriken berücksichtigt. Aber bei der Auffrischung von Model S und Model X, die in diesem Januar präsentiert wurde, lassen die Auslieferungen laut Ogan ebenfalls schon gut ein Quartal zu lang auf sich warten.