Um es gleich vorweg zu nehmen: Ja, wir sind begeistert von unserem Tesla Model 3 Long Range, erworben im September 2021 und seitdem intensiv bewegt bei schönem wie bei bitterkaltem Wetter. Aber wir sind keine Tesla-Fans, die alle anderen Marken von vornherein abtun und an ihrer nicht den Hauch von Zweifel zulassen. Hier sind also Licht und (ein wenig) Schatten, wie wir sie in knapp über 10.000 Testkilometern erlebt haben.
Was ist beeindruckend am Model 3?
Natürlich die 440 PS, die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 4,4 Sekunden, die 580 km (offizielle) Reichweite, die häufigen Software-Updates per Funk (Over The Air – OTA) und vieles mehr. Häufig erfreuen zusätzliche Kleinigkeiten, das Weihnachts-Update 2021 mit der Anzeige der seitlichen Kamera-Bilder beim Blinken zum Beispiel. Ebenfalls einfach, aber selten in anderen Elektroautos: Man muss nur auf die Reichweiten-Anzeige tippen, dann wird im Model 3 von Kilometer auf Prozent umgeschaltet und umgekehrt.
Morgens kann man (bevor man aus dem Haus geht) vor dem Start die Heizung, Sitzheizung und Lenkradheizung einschalten. Alles ganz einfach und bequem via App. Sogar der dritte Platz in der Mitte kann beheizt werden. Das habe ich bislang noch in keinem anderen Auto gesehen – und das alles serienmäßig.
Manchmal wird bei Tesla Model 3 und Model Y kritisiert, dass man umständlich in einem Untermenü suchen muss, um beispielsweise den Scheibenwischer zu aktivieren. Das stimmt allerdings nicht. Es gibt einen Taster am Lenkstockhebel, oder man sagt „Scheibenwischer einschalten“. Hier gäbe es noch Verbesserungspotential, zum Beispiel die gleichen Befehle für die Nebelschlussleuchte und Nebelscheinwerfer. Vielleicht müssten Kunden solche Wünsche einmal zusammentragen. Elon Musk wird es dann schon richten.
Tesla als sparsamer Sportwagen
Genial ist auch, dass die Batterien vorgeheizt werden, wenn man einen Supercharger anfährt. Der Mercedes-Benz EQS – quasi die elektrische S-Klasse – soll das auch können, aber längst nicht jedes heutige Elektroauto. Hinzu kommen Dashcam-Funktion und Wächter-Modus. Für Tesla-Kenner sind sie nichts Besonderes, für alle anderen schon.
Es ist immer wieder beeindruckend, wie sparsam man mit so einem sportlichen Auto unterwegs sein kann. Wir haben es mit 10,6 kwh pro 100 km in der Stadt und 11,7 kWh/100 km auf der Landstraße bewegt. Welches Auto ist sparsamer? Selbst mit einem kleinen VW e-Up! hatten wir nach 1459 Kilometern einen Testverbrauch bei im Schnitt 50 km/h von 14,7 kWh/100 km. Mit dem Model 3 LR haben wir im November bei 10 Grad nach bereits 273 gefahrenen Kilometern noch eine Restweite von 155 Kilometern. Das ergibt eine reale Reichweite von 428 km.
Was nervt am Model 3?
Die Verarbeitungsqualität ist in etwa eine Zwei minus. Ich habe im Tesla-Showroom in Austin, Texas, Autos gesehen, bei denen ich meinen Augen nicht traute. Bei einem Model X – ein Auto, das mehr als 100.000 Euro kostet – war die Eintrittsleiste lose und hing heraus. Bei meinem Model 3 sind Spaltmaße und Verarbeitung okay. Eine Hohlraumversiegelung wäre vielleicht sinnvoll. Dann wäre das Zuschlagen der Türen auch etwas satter.
Die Schilder-Erkennung auf Autobahnen ist leider reine Glückssache. Gerade, wenn man 90 Prozent des Jahres mit Fahrzeugen unterwegs ist, die sie zu 95 Prozent beherrschen, ist es unschön, wenn der Tesla bei korrekten 100 km/h stattdessen 130 km/h als erlaubt anzeigt.
Erst neulich hat ein Nachbar erzählt, wie er von einem Model 3 locker überholt wurde, obwohl er schon stramm auf dem Gas stand. Auch wenn die von Tesla angegebenen 4,4 Sekunden nicht immer erreicht werden: Es ist gut zu wissen, dass man genügend Reserven hat, wenn man gelegentlich Lkw auf der Landstraße überholen will.
Ladeleistung am Supercharger
Während man bei vielen Elektroautos froh ist, wenn sie kurz mit 130 kW laden, startet das Model 3 LR meist mit 180 kW an einem V3-Supercharger. Bislang haben wir erst einmal 250 kW für etwa 2 Minuten gesehen. Aber auch mit 180 kW, die dann bis auf 120 kW sinken, zieht man meist nach 10 bis 15 Minuten weiter.
Das ist ein Punkt, der mich in meinem Testalltag mit anderen Elektroautos regelrecht frustriert: Man steht schon 10 Minuten an einem HPC-Lader. Dann kommt ein Tesla, der nach 10 Minuten wegfährt, während man selbst noch weitere 10 oder sogar 15 Minuten steht, um sicher bis zum nächsten HPC-Lader zu gelangen. Tatsächlich waren die flächendeckend vorhandenen Supercharger einer der wichtigsten Gründe dafür, dass unsere Wahl auf das Model 3 fiel. „Egal wo Du bist: Ziel eingeben, losfahren und immer da laden, wo der Tesla es vorschlägt“ – mehr muss man Lade-Neulingen nicht erklären.
Fazit – und reicht Model 3 SR auch?
Wir sind von unserem Model 3 LR immer wieder begeistert. Dank der 0,25-Prozent-Regel für dienstliche Elektroautos brauchen wir kein Fahrtenbuch mehr zu führen. Unsere Lieblingsstrecke Emsbüren – Heiligenhafen (ca. 400 km) schaffen wir mit einem kurzen Ladestopp (etwa 12 Minuten bei Lübeck). Natürlich gibt es vergleichbare und ebenfalls schicke Elektroautos zwischen 50.000 und 60.000 Euro: Polestar 2, Ford Mustang-Mach E, Ioniq 5, Volvo C40 / XC40, um nur einige zu nennen. Aber bei diesen muss man eben oft noch hoffen, einen von den vier HPC-Ladepunkten bei Ionity zu ergattern. Denn riesige Ladeparks wie in Hilden oder am Kamener Kreuz sind leider noch die Seltenheit.
Als Nächstes geplant ist ein Vergleich zwischen dem kleineren Tesla Model 3 SR und dem LR. Denn diese Diskussion wird schon lange geführt: Wenn man flächendeckend mit Superchargern versorgt ist, muss man dann überhaupt so eine große Reichweite mit sich herumfahren? Versuch macht klug.
Text: Gerd Kebschull