Bild: Martin Zink
Audi hat einen Ruf zu verlieren. Mit dem seit 1971 behaupteten „Vorsprung durch Technik“ ist es seit dem Auftauchen von Tesla vielleicht nicht mehr so weit her. Aber getreu der Konzern-Devise, wenigstens nicht zu weit hinter den Pionier zurückzufallen, hat die Volkswagen-Tochter mit dem e-tron schon Ende 2018 ein erstes eigenes Elektroauto auf den Markt gebracht. Passend zur Marke ist der Audi e-tron als Premium-Fahrzeug konzipiert, passend zum aktuellen Geschmack als SUV. Als solches wird er auch im Test von teslamag.de im Rahmen unserer Reihe „Alle gegen Tesla“ behandelt.
Audi-Elektroauto wenig originell
Wer vor dem e-tron steht, erkennt ihn sofort als Audi. So mutig, wie VW dem ID.3 eine völlig eigene Optik mit nur noch leichten Golf-Anleihen verpasst hat, so wenig originell nähert sich Audi Elektroautos. A6 und ein wenig Q7 erkennt man im e-tron ganz eindeutig. Die Nase ist so stark aktueller Audi-Einheitsbrei, dass man sich ohne Blick auf das Heck gar nicht festlegen will, ob ein e-tron oder ein A6 vor einem steht. Aber das ist Geschmacksache.
Groß ist der e-tron auf jeden Fall. Man merkt, dass hier geklotzt werden sollte. Anders als im Tesla Model 3, Model S oder auch Model X sitzt man im e-tron ungewöhnlich hoch, aber auch sehr bequem und deutlich über der Straße. Das gefällt uns gut, denn die Übersicht ist prima.
Das Fahrverhalten ist überaus sportlich. Selbstverständlich kann man hinterfragen, warum große und schwere Autos so ausgelegt sein müssen, weil es zum schnelleren Fahren verleitet. Aber Spaß macht diese Abstimmung eindeutig. Nicht nur erfahrene Fahrer merken schnell, dass der hintere Motor ziemlich schiebt. So ist es auch gewollt, denn er hat mehr Leistung. Dadurch ergibt sich ein extrem agiler Eindruck, der das SUV wie einen Sportwagen wirken lässt. In 6,6 Sekunden beschleunigt der von uns gefahrene e-tron 50 von 0 auf 100 km/h. Ganz ordentlich – alle Tesla-Fahrzeuge bis hinunter zu unserem Model 3 Standard-Reichweite plus sind allerdings schneller. Auch den Zwischensprint von knapp 60 auf 100 km/h absolviert der e-tron angenehm sportlich. Das gefällt uns gut, fühlt sich aber ebenfalls nicht schneller als im Model 3 SR+.
Gerade im Vergleich zum Model S wirkt der Audi innen moderner. Der Innenraum entspricht dem, was man von Audi kennt, ist aber etwas peppiger und futuristischer. Uns gefällt das optisch besser als im Model S oder 3. Ein Blick auf die Preise im Vergleich zu den Fahrleistungen dürfte bei Interessenten am e-tron allerdings für Ernüchterung sorgen. Das Tesla Model 3 SR+ kostet aktuell gut 46.000 Euro, der e-tron aber schon happige 90.000 Euro – und bei ihm kann aufgrund des höheren Listenpreises nur die kleinere Umweltprämie von 7500 Euro statt 9000 Euro abgezogen werden.
Neben der Fahrdynamik zeigt Audis Elektroauto einen weiteren Punkt, der uns wirklich gut gefällt: Es ist nicht nur sehr agil, sondern auch sehr bequem. Quasi eine Sänfte. Das serienmäßige Luftfahrwerk nimmt Straßenunebenheiten in einer Perfektion, die wir sie uns bei Tesla, gerade beim Model 3, nur wünschen können. Mit verschiedenen Fahrmodi lässt sich auch die Bodenfreiheit verändern. Der Innenraum des Audi e-tron ist im Vergleich zu Tesla Model 3 und Model S extrem gut gedämmt.
Bedienung für VW spitze, bei Tesla besser
Das Infotainment-Angebot im e-tron ist ebenfalls spitze – jedenfalls, wenn man Maßstäbe aus dem VW-Konzern anlegt. In diesem Rahmen geht alles sehr schnell, Verzögerungen bemerkt man nicht. Das Navi kennt Ionity-Ladepunkte und berechnet Strecken darüber. Das funktioniert ähnlich gut oder schlecht wie bei Tesla. Die Bedienelemente und Anzeigen sind auf drei getrennt voneinander positionierten Displays angeordnet. Hier versteht man die Logik der Bedienung sehr schnell.
Im Vergleich zu den Möglichkeiten bei Tesla aber verliert der e-tron ganz erheblich Punkte. Bei weitem reicht der e-tron weder an die Konnektivität noch an die Übersicht von allen Tesla-Modellen heran. Klar, vielleicht braucht man einige Features wie Netflix und die Spiele-Kiste nicht, aber wer mit Kindern auf langer Tour unterwegs ist und lädt, freut sich über die zusätzlichen Möglichkeiten. Darauf freiwillig verzichten? Eher nicht. Tesla schafft es im Model 3, alle Bedienelemente in einem Display unterzubringen, Audi benötigt drei. Optisch macht das vielleicht mehr her, aber Tesla hat, so finden wir, die Bedienung eleganter gelöst.
Die Karosserie des e-tron bietet Vorteile gegenüber den Tesla-Modellen. Der Kofferraum ist angenehm groß, die Klappe öffnet weit. Das ist schon Kombi-Feeling. Man merkt, dass Audi für den europäischen Markt entwickelt hat und sich keine Schwächen in Bezug auf die Alltagstauglichkeit leisten wollte. Hier erspielt sich der e-tron in unseren Augen aber trotzdem keinen Vorteil gegenüber dem ebenfalls geräumigen Model X.
Hoher Aufpreis nicht gerechtfertigt
Wie schon im ersten Teil unserer kleinen Serie „Alle gegen Tesla“ mit dem VW ID.3 zeigt sich, dass der universell angelegte Autopilot bei manchen Einzel-Funktionen noch nicht so weit ist wie die kommende Konkurrenz. Tesla hat die Erkennung von Tempolimits soeben erst per Software-Update eingeführt und sie funktioniert noch lückenhaft. Im e-tron dagegen erlebten wir im Grunde keinerlei Fehlinterpretationen.
Autonomes Fahren gibt es bei Audi auch noch nicht, aber die vorhandenen Assistenz-Systeme funktionieren prima. Einmal ausgewählt, sind sie beim Fahren mit Tempomat aktiv. Ein Detail ist interessant: Der Tempomat greift auf gespeicherte Daten zurück und reduziert die Geschwindigkeit schon vor dem eigentlichen Beginn von Tempolimits. Wir waren zuerst verwundert, dann begeistert. So spart man Energie – was bei dem Audi wohl nicht schaden kann, denn sein Verbrauch ist laut anderen Tests merklich höher als selbst beim größeren Tesla Model X.
Eine Frage stellt sich angesichts von Licht wie Schatten bei dem Elektro-Audi somit deutlich: Ist der hohe Preis-Unterschied zwischen einem e-tron und einem Tesla Model 3 gerechtfertigt? Wir sagen Nein. Zwar spielt das deutsche Elektroauto bei der Verarbeitung durchweg in einer anderen Liga. Aber weder die Fahrleistungen noch die Ausstattungsdetails wären uns 50.000 Euro mehr wert. Wenn das Model Y da ist, dürfte Audi Tesla auch keinen Raum- und Form-Vorteil mehr entgegenzusetzen haben. Allerdings plant die deutsche Marke selbst schon das kompaktere SUV Q4 e-tron, das billiger wird und anders als der erste e-tron auf der rein elektrischen MEB-Plattform von Volkswagen basiert.
Text und Fotos: Martin Zink