Im Prinzip ist es nur eine geschäftliche Entscheidung: Seit Tesla angeboten hat, sein nordamerikanisches Supercharger-Netz auch für Elektroautos anderer Hersteller zu öffnen, wenn diese auf den dafür vorgeschlagenen Standard umsteigen, haben beginnend mit Ford viele Konkurrenten eine solche Vereinbarung geschlossen. Dabei dürfte aber gleichzeitig stets die Überlegung mit hineinspielen, was für einen Eindruck es macht, sich beim Thema Laden im Prinzip Tesla öffentlich geschlagen zu geben. Trotzdem hat sich dazu jetzt auch das Elektroauto-Startup Lucid entschlossen.
Kleiner und wichtiger Tesla-Konkurrent
Das 2007 in Kalifornien gegründete Unternehmen ist einer der kleinsten und einer der wichtigsten Tesla-Konkurrenten gleichzeitig. Mit gut 1600 US-Verkäufen im dritten Quartal hatte es einen Elektroauto-Marktanteil von nur 0,5 Prozent gegenüber immer noch 50 Prozent bei Tesla. Aber Lucid kann anders als die meisten anderen Hersteller für sich in Anspruch nehmen, Tesla mit seiner Limousine Air technisch übertroffen zu haben: Sie hat mehr Reichweite, verbraucht weniger und lädt schneller als das Model S, wenn auch zu einem höheren Preis.
Zu der technischen Rivalität kommt noch eine persönliche hinzu, denn der Lucid-CEO Peter Rawlinson (s. Foto oben) war Chefentwickler für das Model S bei Tesla, bis er 2013 den Arbeitgeber wechselte. Elon Musk hat ihm das offenbar übel genommen, denn im September 2020 schrieb er, Rawlinson habe Tesla im Stich gelassen, als es mit dem Model S richtig schwierig wurde. Und die Lucid-Entscheidung für sein Supercharger-System nutzte Musk jetzt für einen Seitenhieb.
https://twitter.com/elonmusk/status/1721643427308114326
„Die Pille muss bitter zu schlucken gewesen sein“, kommentierte der Tesla-Chef kurz nach der Veröffentlichung der Lucid-Meldung einen Hinweis darauf auf seiner Plattform X. Mehrere seiner Follower schlossen sich mit höhnischen Bemerkungen an – die Rivalität zwischen den beiden reinen Elektroauto-Herstellern scheint also zumindest auf der Tesla-Seite nicht nur auf der obersten Ebene im Unternehmen selbst zu existieren.
Lucid wird 17. Partner für Supercharging
Rein geschäftlich besteht die Vereinbarung zwischen Tesla und Lucid laut der Mitteilung des Startups darin, dass die eigenen Elektroautos ab 2025 mit Hilfe von Adaptern an 15.000 Supercharger-Säulen in Nordamerika laden können. Das ist ein Jahr später als bei der Vereinbarung, die in diesem Mai Ford als erster der Konkurrenten mit Tesla getroffen hatte, und die Zahl der Säulen hat sich wie dort von zunächst 12.000 auf 15.000 erhöht. Wie Ford und andere Hersteller will Lucid im Gegenzug ab 2025 Elektroautos mit Ladebuchse nach dem entstehenden Tesla-Standard NACS für Nordamerika produzieren.
Nachdem sich jetzt auch Lucid dafür entschieden hat, scheint das Supercharger-System als neuer Ladestandard für die Region nicht mehr aufzuhalten. Ähnliche Vereinbarungen mit Tesla haben außer Ford schon 15 weitere Auto-Hersteller geschlossen, darunter neben General Motors auch Mercedes und BMW aus Deutschland sowie mit Toyota zuletzt der größte der Welt. Noch nicht unter den Tesla-Partnern ist der Volkswagen-Konzern, der allerdings bereits angekündigt hat, in seinem US-Ladenetz Electrify America Supercharger-Kabel einführen zu wollen.