Dank der schwierigen Pionierarbeit von Tesla sieht es inzwischen so aus, als würde der Trend zu Elektromobilität weltweit und unaufhaltsam in Gang kommen. Von Wasserstoffautos dagegen, die vor Elektroautos als mögliche Zukunft des Individualverkehrs galten, ist nur noch wenig zu hören. Wolfgang Reitzle aber, bis 1999 Forschungschef bei BMW und heute Aufsichtsratschef des Gase-Herstellers Linde, glaubt weiter daran: „Es ist heute aber mehr denn je klar, dass wir uns in eine Wasserstoff-Gesellschaft hinein bewegen werden“, sagte er in einem Interview mit der Zeitung Die Welt.
Tesla-Chef Elon Musk bezeichnet Brennstoffzellen (Englisch: fuel cells), in denen Wasserstoff in Strom umgewandelt wird, seit langem spöttisch als „fool cells“ („Idioten-Zellen“) und das Konzept dahinter als „zum Erschrecken dämlich“. Reitzle dagegen, der vor seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat von Linde Vorstandschef des Unternehmens war, würde gern eine Zukunft für Wasserstoff im Transportwesen sehen.
Almost all coverage back then said hydrogen fuel cells would destroy electric cars & autonomy was between 10 years & never … https://t.co/bT2ZbnN8Yd
— Elon Musk (@elonmusk) April 23, 2019
Das erste Brennstoffzellenauto von BMW in den 1980er Jahren, das unter Reitzle als damaligem Entwicklungschef entstand, bezeichnete der Linde-Chefaufseher jetzt als „vielleicht ein bisschen zu früh“. Trotzdem sei klar, dass die Wasserstoff-Gesellschaft komme. Von dieser wurde schon vor dem Marktstart von Tesla mit seinen Elektroautos gesprochen, mit zunehmendem Erfolg des kalifornischen Pioniers allerdings immer leiser. Während Tesla inzwischen hunderttausende Autos pro Jahr verkauft, müssen Wasserstoff-Anhänger für echten Markt-Erfolg weiter auf die fernere Zukunft verweisen.
So auch Reitzle. „Das wird lange dauern“, sagte er mit Blick auf die von ihm erwartete Wasserstoff-Gesellschaft. Vor allem gehe es darum, „grünen“ Wasserstoff verfügbar zu machen, das Gas also mit Hilfe von Elektrolyse auf der Grundlage erneuerbarer Energie zu gewinnen. Denn die heutige Produktion aus Erdgas, räumte Reitzle ein, „nutzt nichts“, weil dabei reichlich CO2 freigesetzt wird.
Dasselbe Argument verwendete Reitzle als Begründung für seine anhaltende Skepsis gegenüber Elektroautos: In China sei deren Förderung bereits wieder zurückgefahren worden, weil die Regierung erkannt habe, „dass E-Mobilität nur dann einen positiven Beitrag fürs Klima leisten kann, wenn CO2-freier Strom zur Verfügung steht“. In China werde Strom noch sehr lange aus fossilen Brennstoffen kommen und deshalb „auch in andere Technologien“ wie Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe investiert.
Dass Volkswagen als Europas größter Automobilhersteller inzwischen trotzdem auf den Spuren von Tesla wandelt und deutlich auf Elektromobilität setzt, bezeichnete Reitzle nicht als Fehler des Managements, sondern als Ergebnis mangelnder Optionen: „VW hat gar keine andere Wahl“, sagte er – nur mit Elektroautos könne das Unternehmen kurzfristig strenge Emissionsziele erfüllen.
In Europa würden „Politiker auch die Technologien vorgeben, mit denen sie glauben, uns beglücken zu müssen“, sodass sich der Kontinent technisch in einem „Einbahnstraßen-Tunnel“ befinde, sagte Reitzle weiter. Was er dabei aber außer Acht lässt, ist die Tatsache, dass dort lange vor elektrischen die Entwicklung von Wasserstoffautos großzügig gefördert wurde – mit nach wie vor sehr überschaubaren Ergebnissen.