Es gehe ihm geradezu pathologisch um die Wahrheit, sagte Tesla-CEO Elon Musk vergangene Woche in einem Interview, nachdem er wieder einmal den ursprünglichen Gründern des Unternehmens jegliche Bedeutung abgesprochen hatte. Auch zu einem anderen Thema wollte er darin nach eigener Darstellung dafür sorgen, dass die Realität zu ihrem Recht kommt: Als er im August 2018 auf Twitter ankündigte, Tesla vielleicht von der Börse zu nehmen und die Finanzierung dafür schon gesichert zu haben, sei das keineswegs gelogen gewesen, erklärte Musk: Er sei damals gezwungen gewesen, das gegenüber der Börsenaufsicht SEC einzuräumen, aber in Wirklichkeit sei das die Lüge gewesen. Als er in Kanada das Interview gab, war ein Richter allerdings offenbar schon zu dem gegenteiligen Schluss gekommen.
Tesla-Chef bezeichnet SEC-Büro als „Bastarde“
Derzeit versucht sich Musk an einer Übernahme von Twitter selbst, 2018 aber nutzte er den Dienst, um einen möglichen Tesla-Wegkauf von der Börse anzukündigen, den er dann schnell wieder aufgab. Doch Ankündigung und Absage brachten den Aktienkurs in Bewegung, und die SEC störte sich vor allem an Musks Aussage, die Finanzierung für die Transaktion sei gesichert. In einem Vergleich vor Gericht vereinbarten die beiden Seiten dann eine Strafzahlung für Musk und Tesla sowie Twitter-Einschränkungen für den CEO. Er musste kein Fehlverhalten zugeben, sagte aber auch zu, dergleichen öffentlich nicht zu bestreiten.
Die vereinbarten Twitter-Grenzen ignorierte der Tesla-Chef oder reizte sie zumindest bis ins Letzte aus. In diesem März beantragte er außerdem, diesen Teil der Einigung zu kippen – er sei gezwungen gewesen, sie zu unterschreiben, ließ Musk einen Anwalt schreiben. Schon im Februar hatte er gegenüber einem Gericht erklären lassen, die Nachricht von 2018 sei „vollkommen wahrheitsgemäß“ gewesen. Er habe wirklich über einen Börsen-Wegkauf für 420 Dollar pro Aktie nachgedacht, die Finanzierung sei wirklich gesichert gewesen, und es habe wirklich Unterstützung von Anlegern für den Plan gegeben.
In Prozessen darf Musk so etwas sagen, öffentlich nach der Einigung aber eigentlich nicht. Doch auch das scheint ihn inzwischen nicht mehr zu stören: Die „Bastarde“ im SEC-Büro San Francisco hätten genau gewusst, dass die Finanzierung für seinen Plan tatsächlich gesichert war, erklärte er in dem Interview bei der Technologie-Konferenz TED 2022 vergangenen Donnerstag. Trotzdem hätten sie das Verfahren gegen ihn eingeleitet, und er habe keine andere Wahl gehabt, als sich auf die Einigung einzulassen: Banken hätten gedroht, ansonsten die Finanzierung einzustellen. Er habe also lügen müssen, um das Leben von Tesla zu retten, erklärte Musk.
Musk könnte nach Prozess als Lügner dastehen
Zu diesem Zeitpunkt dürfte ihm allerdings schon bekannt gewesen sein, dass der mit einer Sammelklage von Aktionären wegen der Geschehnisse von 2018 befasste Richter das anders sieht. Zwar wurde darüber erst ab vergangenem Freitag berichtet, aber die Entscheidung soll schon Anfang April gefallen sein. Bekannt wurde sie durch eine neue Eingabe der Kläger, meldete die Agentur Bloomberg. Keine vernünftige Jury könne die Musk-Tweets im August des Jahres „als korrekt oder nicht irreführend“ ansehen, hat ein Bundesrichter demnach entschieden. Nach der Würdigung des bislang vorliegenden Aussagen und Unterlagen dazu kam er mit Blick auf den Wahrheitsgehalt der Nachrichten also offenbar zu dem exakt gegenteiligen Schluss wie der Tesla-Chef selbst. In der neuen Eingabe nehmen die Kläger direkt auf das Interview Bezug und fordern, Musk solche Aussagen zu verbieten.
Gegen die Entscheidung ist laut Bloomberg eine Berufung möglich, doch wenn sie bestehen bleibt, werde das den Sammelklägern im Prozess sehr helfen: Ende Mai finde die Verhandlung statt, und Tesla könne dort dann nicht mehr argumentieren, dass die Nachrichten des CEO der Realität entsprachen. Um Schadenersatz zu bekommen, müssten die Aktionäre nur noch belegen, dass ein Zusammenhang zwischen den falschen Musk-Aussagen und ihren Verlusten mit Tesla-Aktien besteht.
Theoretisch könnte die Höhe des Schadenersatzes nach dem Bericht bis zu 12 Milliarden Dollar betragen, realistischer seien aber 260-280 Millionen Dollar. Zumindest die niedrigere Spanne wäre für Musk, der gerade etwa 2,5 Milliarden Dollar für Twitter ausgegeben hat und den Rest auch noch will, nur Kleingeld. Aber seine Glaubwürdigkeit und damit er selbst würde gewiss leiden, wenn er im Rahmen eines rechtskräftigen Urteils als Lügner dargestellt wird.