Wer selbst ein Elektroauto von Tesla fährt und darin gelegentlich dem Autopilot-System die Tempo-Regelung überlässt, kennt das Phänomen vielleicht: Ohne offensichtliche Gründe bremst das Fahrzeug stark ab – man muss dann selbst schnell Strom geben, um nicht zum Hindernis zu werden oder sogar einen Unfall zu provozieren. In Deutschland hat sich dafür der Begriff „Phantombremsung“ eingebürgert, und auch aus anderen Ländern wurde schon davon berichtet. In den USA gibt es jetzt sogar eine Häufung solcher Fälle – oder jedenfalls der Meldungen darüber.
Meiste Beschwerden bei Model Y 2021
Schon im vergangenen November fiel dem US-Blog Electrek auf, dass Tesla-Besitzer im Beschwerde-System der Verkehrsbehörde NHTSA vermehrt überraschende Bremsmanöver meldeten. Die Washington Post zählte später nach und kam für den Monat auf 51 Beschwerden an die NHTSA wegen solcher Fälle bei Tesla Model 3 und Model Y. Im Dezember 2021 gingen sie auf 32 und im Januar 2022 dann weiter auf 24 zurück. Aber für diesen Februar waren am Samstag, also nach nur vier Arbeitstagen, bereits mehr als 100 derartiger Meldungen zu finden.
Die Mehrzahl davon betrifft das Tesla Model Y des Modell-Jahrgangs 2021. Insgesamt 120 der 217 dazu eingereichten Beschwerden beziehen sich auf den Punkt Front-Kollisionswarnung, und gut 50 von diesen datieren von diesem Februar. In unterschiedlichen Formulierungen und unter Angabe einer Fahrzeug-Identifizierungsnummer, deren letzte vier Stellen durch Sternchen ersetzt sind, wird darin nach Stichproben stets das unerwünschte Verhalten geschildert.
„Bei einer Freeway-Fahrt mit 70 Meilen pro Stunde mit aktiviertem Tempomat bremste der Tesla plötzlich stark“, heißt es zum Beispiel in der neuesten Meldung. Dies komme regelmäßig vor, und der Service habe erklärt, dass das Problem bekannt sei. Einstweilen sei dem Kunden gesagt worden, er solle die Hände am Steuer lassen und aufmerksam sein.
Für das Model Y des Jahrgangs 2022 standen am Samstag rund 20 solcher Meldungen in dem NHTSA-System. Beim Model 3 waren für den neuesten Jahrgang 2021 gut 30 davon zu finden, weitere fünf für 2020 sowie eine für 2019, jeweils frühestens eingereicht Anfang Februar. Das macht insgesamt mehr als 100 Beschwerden für die beiden Tesla-Modelle wegen Phantom-Bremsungen bei der NHTSA in diesem Monat – ungefähr so viele wie in den drei Vormonaten zusammen, obwohl der Februar gerade erst begonnen hat. Für das Model S von 2021 fand sich eine Phantom-Beschwerde, für den Jahrgang 2022 keine.
NHTSA will Tesla-Meldungen prüfen
Die vielen Meldungen seit Anfang Februar könnten mit dem Bericht der Washington Post zusammenhängen. Schon vor der neuen Häufung sagte eine Sprecherin der NHTSA-Sprecherin der Zeitung, die Eingaben seien dort bekannt und würden überprüft. Teil davon seien Gespräche mit dem Hersteller und weitere Daten-Analysen. Wenn sich zeige, dass ein Risiko bestehe, werde die Behörde unverzüglich handeln.
Die Folge wäre vermutlich ein Rückruf, wie es ihn bei Tesla vergangene Woche gleich zweimal gegeben hat: offiziell bei der NHTSA angemeldet oder sogar von ihr herbeigeführt, aber ohne dass dafür ein Auto in die Werkstatt muss. Stattdessen wird per Funk eine neue Software-Version mit Verbesserungen aufgespielt, wie es Tesla sonst häufig auch ohne behördliche Beteiligung für neue oder verbesserte Funktionen macht. Allerdings dürfte das Phantom-Phänomen komplexer sein als der laxe Umgang mit Stopp-Schildern in der Beta-Software FSD oder die unter Umständen nicht korrekt funktionierende Gurt-Warnung, die Auslöser für die Software-Rückrufe der Vorwoche waren.