Nur selten lassen sich wissenschaftliche Erkenntnisse ohne große Umwege in der Praxis umsetzen, aber bei der Entdeckung eines Teams um den aus Deutschland stammenden Batterie-Forscher Michael Metzger sieht es stark danach aus. Kurz gesagt ist es einem störenden Effekt auf die Spur gekommen, mit dem sich die immer wichtiger werdende Branche fast schon abgefunden hatte: Batterien entladen sich mehr oder weniger intensiv selbst, wenn sie nicht benutzt werden, und wie Metzgers Team herausfand, dürfte das schlicht an einer Klebefolie liegen, mit der die darin enthaltenen Schichten zusammengehalten werden.
Roter Elektrolyt verrät Transport-Molekül
Bei dieser Entdeckung, die schon großes Interesse aus der Technologie- und Elektroauto-Branche ausgelöst hat, spielte in mehrerer Hinsicht der Zufall eine Rolle. Zum einen las Sebastian Büchele, Hauptautor von zwei Fachaufsätzen darüber, bei teslamag.de von der Berufung von Metzger an die kanadische Dalhousie University mit dem Batterie-Star Jeff Dahn, dessen Forschung seit 2016 von Tesla unterstützt wird. Erst dadurch kam Büchele auf die Idee, sich dort für ein Gaststudium zu bewerben, wie er in einem Telefon-Interview am Donnerstag erzählte. Und mit dem, was er dann in Halifax entdeckte, hätte niemand gerechnet.
In dem Labor der Universität werden Batterien regelmäßig extremen Bedingungen ausgesetzt, um zu untersuchen, was diese bewirken und was man dagegen tun kann – Elektroauto-Batterien für mehrere Millionen Meilen sind laut dem Tesla-Partner Dahn grundsätzlich kein Problem mehr. Doch beim Öffnen nach Temperatur-Tests stellte sich heraus, dass der Elektrolyt als leitende Flüssigkeit zwischen den Elektroden eine rote Farbe bekommen hatte – eigentlich unerklärlich, weil keines der aktiven Batterie-Materialien eine solche Reaktion auslösen könnte.
Wie sich dann in weiteren Versuchen herausstellte, steckt hinter der Verfärbung stattdessen ein Stück Lowtech, für dessen Existenz Batterie-Hersteller wie Forscher im Rückblick bemerkenswert wenig Interesse zeigten: Batterie-Stapel oder -Rollen werden in ihrer Hülle von recht gewöhnlichem Klebeband auf der Grundlage von PET-Kunststoff zusammengehalten. Daraus können sich insbesondere unter Hitze DMT-Moleküle lösen – und die sind in der Lage, Elektronen innerhalb der Batterie zu transportieren, auch wenn eigentlich kein Strom fließen sollte.
Elektroauto-Batterien ohne Klebeband?
Damit scheint das rätselhafte Phänomen der Selbstentladung aufgeklärt. Bekannt und mehr oder weniger lästig dürfte es jedem Besitzer von Konsum-Elektronik oder Elektroautos sein. In solchen Anwendungen spielen zwar auch andere Faktoren eine Rolle, aber zumindest der physikalische Effekt dürfte sich in Zukunft leichter eindämmen lassen. Die Vorteile zum Beispiel bei der stationären Langzeitspeicherung von Strom sind offensichtlich, aber auch Elektroautos und weniger anspruchsvolle Batterie-Produkte könnten profitieren.
So schnell, wie man sich das möglicherweise vorstelle, werde eine Umstellung in der Massenproduktion wahrscheinlich nicht möglich sein, sagte der Co-Entdecker Büchele teslamag.de. Aber er bestätigte, dass „einige der größten Technologie-Unternehmen der Welt und große Batterie-Hersteller“ sich bereits mit den neuen Erkenntnissen aus Kanada beschäftigen. Nach seinen Angaben kommt die jetzt überführte PET-Folie grundsätzlich in Batterien aller Bauformen zum Einsatz, also sowohl in den von Tesla und zunehmend auch anderen Herstellern bevorzugten Rundzellen als auch in prismatischen oder solchen in „pouch“-Hüllen.
Begrenzen lässt sich die Selbstentladung über DMT-Transporter zum einen durch den Verzicht auf das weltweit gebräuchliche PET-Band. Aber dann müsste ohne sonstige Umstellungen ein anderes Fremdmaterial in die Batterie, von dem noch nicht bekannt ist, ob es möglicherweise neue unerwünschte Effekte auslösen oder begünstigen würde. Alternativ lassen sich laut Büchele Additive hinzugeben, die das Herauslösen von DMT aus dem Band verhindern oder begrenzen. Außerdem sei ihm ein kleinerer Batterie-Hersteller aus Deutschland bekannt, der ganz ohne Klebeband auskommt.
Dalhousie-Forschung nicht nur für Tesla
Für die Zukunft stellt der Forscher, der inzwischen seinen Master-Abschluss und eine Stelle am Karlsruher Institut für Technologie hat, „weitere spannende Publikationen“ zu dem Thema in Aussicht. Das große Interesse aus der Industrie spricht dafür, dass zumindest Versuche zur Umsetzung in der Praxis nicht allzu lange auf sich warten lassen werden. Auf jeden Fall kann auf die Erkenntnisse aus der Dalhousie University nicht nur Tesla zugreifen. Das Unternehmen sponsert zwar die Arbeit der Teams von Dahn, aber wie schon der Anfang 2021 berufene Assistant Professor Metzger teslamag.de sagte, respektiert Tesla, „dass wir in der Wissenschaft unsere Arbeit kommunizieren müssen“.