Seit diesem Dienstag ist es offiziell: In Nordamerika ausgelieferte Model 3 und Model Y kommen ab sofort ohne den Radar-Sensor für das Autopilot-System, mit dem bislang alle Elektroautos von Tesla ausgestattet waren. Bei Model S und Model X sowie auf anderen Märkten soll die Umstellung auf ein reines Kamera-System folgen, teilte Tesla außerdem mit. Damit weicht das Unternehmen noch deutlicher von der Mehrheit im Rest der Branche ab, die für mehr autonomes Fahren neben Kameras und Lidar auch Radar als erforderlich bezeichnet. Intern aber scheint der Reduktionskurs von CEO Elon Musk unumstritten, denn sein wohl wichtigster Mitarbeiter für Autonomie-Fragen hat sich jetzt öffentlich auf seine Seite gestellt.
Früher Blick auf Teslas 4D-System
Andrej Karpathy hat laut seiner Website einen Doppel-Bachelor in Physik und Informatik und dann an der Stanford University über neuronale Netze und maschinelles Sehen promoviert. 2017 trat er als Director of AI bei Tesla an, wo er heute das Team für diese beiden Themen leitet und inzwischen ein Senior zu seinem Titel hinzugekommen ist. Karpathy zählt zu den wenigen Tesla-Mitarbeitern außer CEO Musk, die sich als solche regelmäßig in sozialen Medien zu Wort melden.
Dass Tesla ganz auf Radar verzichtet, ist neu, aber schon vorher lag der Schwerpunkt bei der Autopilot-Entwicklung klar auf der Auswertung von Kamera-Sensoren – wie auch die frühe Einstellung Karpathys zeigt. Der gab schon im Juni 2020 einen Ausblick auf die Funktionsweise einer komplett umgeschriebenen KI-Software für das Autopilot-System. Musk bezeichnete sie später als 4D-System, und im Oktober begann ein begrenzter Test mit einer wie die Tesla-Option für zukünftig autonomes Fahren als FSD bezeichneten Beta-Version davon. Wie alle anderen nutzt sie bislang auch Radar-Daten, doch laut Musk soll jetzt in drei Wochen FSD Beta V9 mit reiner Kamera-Auswertung kommen.
KI-Chef unterstützt CEO Musk
Schon diese Ansage seines CEO auf Twitter unterstützte Karpathy am Dienstag mit einem Like, was manche als Zeichen dafür sahen, dass sie ernster zu nehmen ist als andere von Musk zum Autopilot-Fortschritt. Bei dem Beta-Test hatten sich mehrere nacheinander als zu optimistisch erwiesen, und Anfang Mai wurde öffentlich, dass ein anderes führendes Mitglied des Autopilot-Teams zeitliche Angaben des Tesla-Chefs dazu als unrealistisch bezeichnet haben soll.
Zum Zeitrahmen für die nächsten Schritte äußerte sich Karpathy abgesehen von seiner Like-Unterstützung für die Ankündigung von Musk jetzt nicht. In einer weiteren Twitter-Nachricht machte er aber anschaulich deutlich, dass er hinter dem Kamera-Kurs des CEO steht, und erläuterte auch kurz die Gründe für seinen festen Glauben an „pure vision“.
Yes vision is extremely information rich. 8X surround 1.2MP @ 36Hz is a lot of constraints on state of the world, can be processed at 10X better latencies than what human meat computer can ever hope for, with full attention. We live in a funny silver of time where it’s a contest.
— Andrej Karpathy (@karpathy) May 26, 2021
Kamera-Daten seien extrem informationsreich, schaltete sich Teslas KI-Chef am Mittwoch in eine Twitter-Diskussion über diese Frage ein. „8X surround 1.2 MP @36Hz“ liefere reichlich Informationen über den Zustand der Welt, erklärte Karpathy etwas technisch und wohl mit Blick auf die acht Kameras in heutigen Teslas, die 36 Bilder pro Sekunden aufnehmen. Das Ganze lasse sich mit einem Computer dann mit zehnmal weniger Verzögerung verarbeiten, „als ein Computer aus menschlichem Fleisch es je hoffen könnte, bei voller Aufmerksamkeit“.
„Merkwürdiges Scheibchen Zeit“
Das mag eine gewisse Verachtung für das Wunder des biologischen Gehirns erkennen lassen. Aber man wird Karpathy zugestehen müssen, dass er insbesondere im Vision-Bereich mehr über die Möglichkeiten von intelligent gemachten Maschinen weiß als die meisten anderen Menschen. Und zumindest für ihn ist schon ausgemacht, dass wir mit KI-Computern nicht mehr lange mithalten werden, wie Teslas oberster Entwickler für dieses Thema in einer interessanten Formulierung wissen ließ: „Wir leben in einem merkwürdigen Scheibchen Zeit, in dem es noch einen Wettbewerb gibt“. Die Frage, wann das Rennen mit schon jetzt klarem Ausgang endet, beantwortete er allerdings nicht.