Sicher gibt es in der Welt des modernen Marketings einen Fachausdruck für diese Technik, aber zuverlässig zu funktionieren scheint sie nicht. Regelmäßig bekommt der deutsche Hersteller BMW reichlich Gegenwind und Spott ab, wenn er in sozialen Medien für seine Autos wirbt. Denn Tesla und andere gestalten die Fronten ihrer Fahrzeuge zunehmend schlicht und windschlüpfrig, BMW aber lässt selbst bei seinen kommenden Elektroautos den Kühlergrill in der bekannten Nieren-Form immer monströser ausfallen. Auch der vergangene Woche vorgestellte BMW iX hat den riesigen Schlund und wurde entsprechend belustigt bis empört aufgenommen. Das griff das Unternehmen offensiv in einem Video auf – aber auch dieser Internet-Schuss ging nach hinten los.
Tesla-Fans gegen Veränderungen?
„OK, Boomer. And what’s you reason not to change?“, schrieb BMW nach der jüngsten Welle Kühlergrill- und allgemeinerer Design-Kritik auf Twitter und veröffentlichte dazu ein Foto aus dem Innenraum des iX mit einem vergleichsweise milden Kommentar-Zitat eines YouTube-Nutzers. Doch dieser Beitrag kann zum einen als Beleidigung an eine große und wichtige Kundengruppe aufgefasst werden: die Baby-Boomer aus den geburtenstarken Jahrgängen etwa ab Mitte der 1950er Jahre, über die sich Jüngere gern mit dem von BMW verwendeten Meme lustig machen.
Zum anderen scheint die BMW-Kritik an den Nieren-Kritikern auch inhaltlich nicht angemessen: Twitter ist, wahrscheinlich wegen der intensiven Präsenz von Elon Musk, voller Tesla-Fans. Manche davon mögen zur Boomer-Generation gehören. Aber die Andeutung, sie seien nicht zu Veränderungen bereit, nur weil ihnen der Front-Schlund der bayerischen Elektroautos nicht gefällt, rechtfertigt das nicht.
No matter what age you are, we hear you. We are sorry, it wasn’t our intention to insult anyone with meme slang.
The way into the new world of mobility is bumpy, but we hope you join us on the journey.
— BMW (@BMW) November 18, 2020
Eigentlich ist es sogar genau andersherum: Während BMW Design-Prinzipien aus seiner Verbrenner-Welt auf Elektroautos zu übertragen versucht, verlangen die Kritiker ein konsequenteres Umdenken. Tesla Model 3 und Model Y etwa haben zwar ebenfalls Lufteinlässe an der Front, aber die sind dezent ganz unten untergebracht – eine klassische Kühler-Öffnung gibt es an der glatten Nase nicht mehr. Auch Hyundai hat sich beim Facelift seines Kona Elektro für 2021 für eine solche Tesla-Nase entschieden.
Trotz dieser offensichtlichen Widersprüche entschied sich BMW, in die Offensive zu gehen und veröffentlichte auch ein Video mit einer Auswahl von Kritik am Elektroauto iX in sozialen Medien – die darin gezeigten Personen gehen souverän damit um. Zumindest auf die Provokation „OK Boomer“ im Titel verzichtete das Unternehmen (möglicherweise nachträglich). Aber auf Twitter bekam BMW erneut das ab, was man dort inzwischen gewöhnt sein dürfte: Spöttische Kommentare wie die Antwort, einer der Gründe für mangelndes Interesse sei, dass geschmacklose Pullover zu Weihnachten schon genug Hässlichkeit in das eigene Leben brächten.
BMW-Entschuldigung für „Meme-Slang“
Abgesehen von den üblichen Späßen auf BMW-Kosten gab es dieses Mal aber auch ernstere Stimmen, die sich über die Boomer-Ansprache beschwerten und sie als beleidigend empfanden – zumal diese Bevölkerungsgruppe sowohl zahlreich als auch kaufkräftig ist. Nach drei Tagen mit solchen Rückmeldungen entschied sich das Sozialmedien-Team am Mittwoch für eine Entschuldigung: Man habe niemanden mit „Meme-Slang“ beleidigen wollen, schrieb es in einer Antwort auf den eigenen Boomer-Beitrag.
Immerhin dieser Schritt kam auf Twitter mehrheitlich gut an. Das grundsätzliche Problem von BMW aber wird er wohl nicht lösen: Das Marketing-Team, das an Design-Entscheidungen nicht beteiligt sein dürfte, muss sie anschließend im Internet präsentieren und verteidigen. Aber dort wartet stets eine große Zahl von Tesla-Fans und ist bereit, den Finger tief in die Nieren-Wunde zu bohren. BMW wird sich also andere Tricks einfallen lassen müssen – oder seine Designer ein paar Tage auf Exkursion in die gnadenlose Welt der sozialen Medien schicken.