Als sich Tester des US-Magazins Motor Authority vor kurzem über unzuverlässige Ladeinfrastruktur für das Elektroauto Audi Q8 e-tron beschwerten, hatte ein Vertreter des Unternehmens eine interessante Erklärung: Die eigenen Kunden würden mehr als ein Fahrzeug besitzen, könnten für lange Reisen also im Zweifelsfall auch einen Verbrenner nutzen, wird er in dem Bericht zitiert. Das klingt wie eine Ausrede, scheint aber tatsächlich in etwa der Realität bei heutigen Elektroautos zu entsprechen. Denn laut einer US-Studie werden sie im Durchschnitt deutlich weniger gefahren als Verbrenner – und wenn es Tesla nicht gäbe, wäre der Abstand noch viel größer.
Tesla viermal über Elektroauto-Schnitt
Die Angaben stammen von dem Portal iseecars.com, das dafür nach eigenen Angaben Daten über 860.000 Autos ausgewertet hat. Dabei wurden nur Fahrzeuge aus dem Modell-Jahrgang 2020 berücksichtigt, die bei dem Portal zum Verkauf standen. Die höchste Kilometer-Leistung unter allen Elektroautos verzeichnete in dieser Stichprobe das Tesla Model X (s. Foto oben) mit durchschnittlich 10.378 Meilen (16.700 Kilometern) pro Jahr. Doch selbst das lag deutlich unter dem Verbrenner-Durchschnitt von 20.530 Kilometern pro Jahr.
Über alle zwölf betrachteten Elektroautos gerechnet, betrug der Jahresschnitt bei diesen 14.580 Kilometer, oder rund 29 Prozent weniger als bei konventionellen Autos. Wäre Tesla nicht (mit allen vier derzeit erhältlichen Modellen) dabei, würde der Elektroauto-Durchschnitt laut iseecars.com sogar nur 10.800 Kilometern erreichen, also kaum mehr als die Hälfte des Verbrenner-Wertes. Tatsächlich lagen die Fahrleistungen aller Tesla-Modelle über dem Mittelwert für ihre Antriebsart und die aller anderen Elektroautos darunter.
Nach Ansicht von iseecars.com hängt dieser Effekt direkt mit der Reichweite der einzelnen Elektroautos zusammen. Wenn man die Liste nach diesem Kriterium sortiert, ergibt sich eine ähnliche Reihenfolge wie nach der jährlichen Kilometer-Leistung. Denn für das Portal ist Reichweiten-Angst noch immer kein Thema der Vergangenheit: Rechnerisch würden Elektroauto-Fahrer pro Meile zusätzlicher Norm-Reichweite 23 zusätzliche Meilen pro Jahr fahren. Wenn man so weiter rechnet, ergibt sich, dass Elektroautos im Durchschnitt 440 Meilen (statt heute 279 Meilen) bräuchten, bis sie auf die gleiche Fahrleistung wie Verbrenner kommen. Diese Reichweite entspräche dann dem, was drei Jahre alte Verbrenner schaffen.
Ford sichert sich Supercharger-Zugang
Angst vor zu wenig Reichweite im engeren Sinn müsste man laut dem Portal weder bei den Elektroautos von Tesla noch bei den meisten anderen haben: Beinahe alle hätten nach Norm genug davon, um ohne Nachladen das Doppelte der Distanz von 89,4 Meilen zurückzulegen, über der nach US-Daten nur 1 Prozent aller Fahrten liegen. Bei der alten Angst gehe es weniger um die Sorge, ganz ohne Lademöglichkeit irgendwo in der Wildnis stehenzubleiben, als darum, dass Laden deutlich länger dauert als Tanken, sagte ein Analyst von iseecars.com.
Probleme mit Ladesäulen, wie sie die Tester von Motor Authority beim Q8 e-tron bemängelten, werden in dem Beitrag nicht erwähnt, dürften abseits des nach Tesla-Angaben sehr zuverlässigen Supercharger-Netzes aber ebenfalls zur Zurückhaltung bei Elektroauto-Langstrecken beitragen. Ford scheint das erkannt zu haben – in dieser Woche gab das Unternehmen eine Kooperation mit Tesla bekannt, in deren Rahmen die eigenen Elektroautos ab nächstem Jahr 12.000 Supercharger-Säulen in Nordamerika nutzen können.