Viele in Europa warten auf das Tesla Model Y, das schon vor vielen Jahren angekündigt wurde und in den USA seit März 2020 ausgeliefert wird. In der Zwischenzeit aber hat Hyundai, das mit dem Kona ohnehin schon ein interessantes Elektroauto auf dem europäischen Markt hatte, zusätzlich den Ioniq 5 auf einer neu entwickelten Plattform herausgebracht. Er kommt in einem vergleichbaren Format wie der Tesla-Crossover und bietet auf dem Papier überzeugende Daten. Und wie ist er in der Praxis? Das konnte teslamag.de dank eines von der Elektroauto-Vermietung nextmove zur Verfügung gestellten Ioniq 5 mit Vollausstattung ausgiebig erfahren.
Ioniq 5 futuristisch und logisch
Von außen wirkt der erste Hyundai unter der eigenen Elektroauto-Submarke Ioniq vollkommen neu. Die silbrige Farbe ist matt und wirkt sehr schick, die Frontleuchten sehen aus wie in einem Science-Fiction-Film. Insbesondere die Seitenlinie gefällt uns sehr gut und ließ gleich vermuten, dass im Innenraum viel Platz ist. Außerdem hübsch und wie beim Tesla Model S: Die Türgriffe fahren erst aus, wenn der Ioniq 5 per Fernbedienung aufgeschlossen wurde. Allerdings gibt es dafür tatsächlich einen herkömmlichen Fahrzeugschlüssel, und der hat unzählige Knöpfe.
Im Innenraum geht es edel zu. Auch hier sind deutlich mehr Knöpfe als zum Beispiel in unserem Model 3 vorhanden. Aber das Bediensystem und die dahinter stehende Logik gingen für uns absolut in Ordnung. Alle Funktionen ließen sich schnell finden, und es gibt einiges, was man bei Volumen-Teslas bislang auch nicht als Extras bestellen kann. Zum Beispiel können die Sitze belüftet werden, was wir bei unserer Probefahrt bei 35 Grad im Schatten als nützlich empfanden. Die Sitze selbst sind sehr bequem und verfügen über eine große und einstellbare Beinauflage – allein am Sitz befinden sich wohl mehr Knöpfe als im gesamten Model 3. Immerhin kann er damit in eine Art Liegeposition gefahren werden.
Andere Details im Inneren sind ebenso spannend. So kann die gesamte Mittelkonsole verschoben werden. Das bringt ein ungewohntes Raumgefühl mit sich. Außerdem sind nahezu unzählige USB-Steckdosen vorhanden, und induktives Laden von Smartphones wird ebenfalls unterstützt. Hinter einem im Test 1,95 Meter großem Fahrer blieb noch reichlich Platz für Rückbank-Passagiere übrig. Das ist wirklich beeindruckend und besser als im Model 3. Die Rücksitze können verstellt werden, wodurch der Kofferraum kleiner bzw. größer wird.
Das Gepäck-Abteil allerdings kam uns vor allem im Kontrast zu dem großzügigen Eindruck von außen etwas zu klein vor. Durch einen Subwoofer geriet sein Boden recht hoch, wodurch das Platzangebot in Verbindung mit der flach abfallenden Klappe recht eingeschränkt ist. Nach den technischen Angaben stehen hinten 527 Liter und im vorderen Kofferraum bei der Allrad-Version 24 Liter Stauraum zur Verfügung; nur mit Heckantrieb sind es vorne noch 30 Liter mehr. Überzeugend ist die Anhängelast des Allradlers: Bis zu 1600 Kilogramm können mit ihm gezogen werden.
Kein Netflix, aber 3D-Kamera
Das Infotainment-System empfanden wir als gelungen, auch wenn wir vom Model 3 eine höhere Qualität der Anzeigen gewohnt sind. Irgendwie wirken die beiden großen Ioniq-Displays pixeliger. Auf ihnen sind allerlei Informationen abzulesen, bei unserem Testwagen zum Beispiel, ob Kraft gerade nach hinten oder nach vorn geleitet wird. So viele Extras wie bei Tesla gibt es aber nicht – keine Spiele, kein Netflix, kein YouTube. Stattdessen kann man sich Naturklänge abspielen lassen. Andererseits hat der Ioniq 5 etwas an Bord, das wir bei unsere Model 3 vermissen, nämlich ein Head-Up-Display. Direkt im Blickfeld des Fahrers zeigt es zum Beispiel erkannte Tempo-Limits an. Ein weiteres Highlight bei Hyundai ist das Kamera-System: Eine Art Vogelperspektiven-Darstellung kann man inzwischen fast erwarten, aber dieses hier bietet eher einen 3D-Blick auf das Fahrzeug. Man kann es mit dem Finger wie auf einem Smartphone drehen und sehen, was ringsherum passiert.
Der Allrad-Antrieb in unserem Test-Ioniq kommt den Fahreigenschaften zu Gute, geht aber zu Lasten der Reichweite. Diese beträgt knapp 423 Kilometer nach WLTP mit 20 Zoll-Rädern. Das ist deutlich weniger als beim aktuellen Tesla Model 3 Long Range mit knapp 620 Kilometern, und auch das höhere Model Y kommt selbst nach US-Norm deutlich weiter. Dabei ist der Akku mit 72,6 kWh annähernd gleich groß. Die beiden Antriebe leisten zusammen 305 PS, was in unseren Augen mehr als ausreicht.
Wie fährt sich der Ioniq 5? Im Vergleich zum Model 3 Long Range nicht übermäßig sportlich. Aber das ändert nichts daran, dass man in den neuen Hyundai-Elektroauto sehr angenehm unterwegs ist. Die großen 20-Zoll-Räder machen manche Fahrt etwas holperig, aber die heckbetonte Abstimmung gefällt uns und wirkt agil. Im Vergleich mit den meisten Verbrenner-Autos ist das sogar eine krasse Untertreibung: Der Vortrieb ist beeindruckend, hält lange an und passt gut zum dynamischen Außeneindruck. Ja, irgendwie scheint es eine Millisekunde Wartezeit zu geben, bevor der Strompedal-Befehl „Vorwärts“ umgesetzt wird, dann aber kommt die Beschleunigung ausdauernd und brachial. Übrigens gibt es verschiedene Fahrmodi, die der Fahrer passend zu seinen Interessen einstellen kann. In jedem Fall ist der Ioniq bei 185 km/h abgeregelt. Laut Tacho fährt er dann 190 km/h. Die Bremsen packen für unser Gefühl deutlich vertrauenserweckender zu als die im Tesla Model 3.
Erste Tesla-Alternative ohne Patzer
Mit dem Ioniq 5 hatten wir nach unserer ersten Test-Reihe „Alle gegen Tesla“, in der das Model 3 selbst in unserer früheren Version Standard-Reichweite Plus klarer Sieger war, erstmals ein Elektroauto zur Verfügung, an dem uns wirklich alles gefällt. Er bietet also eher als der recht konventionelle VW ID.4 eine spritzige und hochmoderne Alternative zum Model Y ohne erkennbare Kompromisse – und ist schon jetzt zu haben. Der Preis unseres Testwagens war mit knapp 62.000 Euro mit Extras und vor Umweltprämien ziemlich happig, aber es gibt auch eine Basis-Version mit kleinerem Akku ab 41.900 Euro.