Das zunehmend gut ausgebaute und funktionierende Supercharger-Netz gilt als einer der großen Vorteile von Tesla im beginnenden Wettbewerb auf dem Elektroauto-Markt – so sehr, dass inzwischen auch andere Hersteller konkret über eigene Lade-Angebote nachdenken. Umso erstaunlicher ist vor diesem Hintergrund, dass CEO Elon Musk in dieser Woche ankündigte, Supercharger noch in diesem Jahr auch für andere Elektroautos nutzbar zu machen. Offen blieb dabei allerdings, wie das konkret aussehen soll – und ob Tesla-Besitzer vielleicht ein geschätztes und auf gewisse Weise bezahltes Privileg verlieren.
Supercharger-Modell aus Skandinavien?
Dass die eigenen Supercharger grundsätzlich für alle da sein könnten, hat Musk schon mehrmals erwähnt und Ende 2020 sogar unauffällige Verhandlungen darüber angedeutet. Nach weiteren Berichten und Gerüchten in den vergangenen Monaten wurde er an diesem Dienstag dann deutlicher: „Wir werden wir unser Supercharger-Netz in diesem Jahr für andere Elektroautos öffnen“, schrieb der Tesla-Chef unmissverständlich auf Twitter. Im Lauf der Zeit werde das sogar in allen Ländern geschehen.
Was das für heutige und zukünftige Tesla-Besitzer bedeutet, hängt davon ab, wie diese Ankündigung umgesetzt wird; dazu sagte Musk zunächst nichts. Das geplante Modell könnte sich aber in Skandinavien schon erkennen lassen. In Norwegen und Schweden hat sich Tesla laut lokalen Berichten um Ladestation-Zuschüsse beworben und dabei zugesagt, dass sie für alle Elektroauto-Marken nutzbar sein sollen. Das soll offenbar aber nur für einige Säulen pro Supercharger-Standort gelten, sodass eine Teil-Exklusivität für Tesla-Fahrer bestehen bliebe.
Kunden fürchten volle Tesla-Stationen
Alternativ könnte sich Tesla an Audi orientieren. Die deutsche Premium-Marke aus dem VW-Konzern bestätigte in diesem Mai, als Test für ein ergänzendes Angebot zunächst eine schnelle Ladestation unter dem eigenen Namen aufzubauen. Dort sollen beliebige Elektroautos Strom bekommen – aber nur, wenn die Säulen nicht schon von einem Audi reserviert sind. Auch das wäre eine Möglichkeit, anderen Elektroauto-Marken zu helfen, ohne Tesla-Fahrern wirklich etwas wegzunehmen.
Denn das wurde in Reaktionen auf Meldungen über offene Supercharger immer wieder am stärksten befürchtet und kritisiert. Bislang kann man mit einem Tesla meist darauf vertrauen, dass sich nach schlimmstenfalls kurzem Warten ein Lade-Platz an einer der Stationen findet. Außerdem funktionieren sie zuverlässig, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass Tesla sich bei Kommunikation und Abrechnung auf die eigenen Elektroautos und Kunden konzentrieren konnte. Wenn bald beliebige Marken am Supercharger laden, so die Kritik, könnte es dort voll und chaotisch werden – dabei haben zumindest bestehende Besitzer den Aufbau des Tesla-Netzes mitbezahlt.
Elektroauto-Verbreitung profitiert
Vielleicht deshalb wurde in Kommentaren mehrfach die Hoffnung oder auch Erwartung geäußert, dass Fremdlader bei Tesla einen höheren Preis pro Kilowattstunde bezahlen müssen. Alternativ wäre auch eine Start-Gebühr denkbar, vielleicht verbunden mit dem Kauf eines Adapters, der die Kommunikation mit Tesla übernimmt. Ein solches Angebot könnte Tesla in Zusammenarbeit mit den Herstellern anderer Elektroautos machen oder direkt an ihre Kunden. Zuletzt wurde allerdings von Verhandlungen mit Mercedes, BMW, Volkswagen und Opel in Europa berichtet, also auf Hersteller-Ebene.
Im Gesamtbild gedacht, dürfte eine Öffnung der Supercharger für die Verbreitung von Elektroautos positiv sein. Kleinere Nachteile für bestehende Besitzer könnte Tesla-Chef Musk zur Förderung dieser Mission dabei sogar in Kauf nehmen. Allerdings zeigt er sich im bisherigen Geschäftsgebaren durchaus konkurrenzbetont und wenig gewillt, anderen etwas zu schenken. Wenn es zu einer breiten Öffnung der begehrten Supercharger kommt, dürfte er im Gegenzug also zumindest erhebliche Vorteile für Tesla aushandeln.