Wieder einmal empören derzeit regulatorische Eingriffe, die auf die Arbeit der UN-Kommission UNECE zurückzuführen sein sollen, Tesla-Kunden in Europa: Mit neuen Software-Versionen ab 2022.16.1 wird die Zusatzfunktion Navigate on Autopilot so verändert, dass damit kein Abfahren von Autobahnen ganz ohne Fahrer-Eingriff möglich ist – wie bei normalen Spurwechseln unter Autopilot muss man jetzt vorher den Blinkhebel antippen. Diese Einschränkung dürfte nicht auf neuen UNECE-Regeln basieren, sondern auf der Durchsetzung bestehender. Doch wenig später tagte eine Arbeitsgruppe der Kommission zum Thema autonome Fahrzeuge. Und anschließend empfahl sie eine Erhöhung der maximal zulässigen Geschwindigkeit für schon heute mögliche Systeme.
Mercedes profitiert vor Tesla
Das betrifft allerdings zunächst einmal nicht Tesla, sondern hauptsächlich Mercedes: Als nach eigenen Angaben weltweit erster Hersteller erhielt das Unternehmen Ende 2021 eine Genehmigung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) für ein System auf Stufe 3 in der internationalen Klassifizierung für autonomes Fahren: Die Person am Steuer wird zumindest für begrenzte Zeiträume aus der Verantwortung entlassen. Allerdings funktioniert der Drive Pilot für Mercedes EQS und S-Klasse regulierungsgemäß nur auf Autobahnen und bei bis zu 60 Stundenkilometern, also im Prinzip nur in Stau-Situationen. Doch jetzt hat die UN-Arbeitsgruppe ein Papier verabschiedet, das derart automatisiertes Autobahn-Fahren bei bis zu Tempo 130 zulassen würde.
Das teilte die UNECE vergangene Woche mit. Demnach geht es um einen Entwurf zur Veränderung der UN-Regelung Nr. 157, beschlossen von einem Gremium mit dem unhandlichen Namen Working Party on Automated/Autonomous and Connected Vehicles (GRVA). Die Erhöhung des Computer-Tempolimits auf auf 130 km/h ist die einzige Neuerung, die in der Mitteilung dazu konkret genannt wird. Nach den Angaben wird der Entwurf jetzt dem World Forum for Harmonization of Vehicle Regulations für seine Sitzung ab nächster Woche vorgelegt. Wenn dieses Gremium zustimme, könne die Neuregelung im Januar 2023 in Kraft treten.
Seit Mitte Mai ist nach Mercedes-Angaben das Extra Drive Pilot mit automatisiertem Fahren für das Elektroauto EQS und das Verbrenner-Pendant S-Klasse in Deutschland bestellbar. Schon Anfang nächsten Jahres könnte es deutlich nützlicher werden, wenn die vorgeschlagene Tempolimit-Erhöhung durchkommt. Denn schon für die Zulassung für bis zu 60 km/h musste Mercedes viele technische Auflagen erfüllen und Sicherheitsfunktionen nachweisen. Ein höheres Maximal-Tempo scheint nach dem GRVA-Entwurf nur eine Mindestreichweite der Front-Sensoren von 150 Metern statt vorher 46 Metern zusätzlich zu erfordern.
Warten auf FSD-Autopilot für Europa
Das schaffen nach Angaben auf der Tesla-Website auch die heutigen Autopilot-Frontkameras mit ihren bis zu 250 Metern Sichtweite, doch offenbar reicht der Rest des Systems noch nicht für eine deutsche Level-3-Zulassung (die für Mercedes auch in den USA soll bis Ende dieses Jahres folgen). Bis zu dem jüngsten Rückschritt mit Navigate on Autopilot hat das Tesla-System in Europa zuletzt nur wenige Fortschritte gemacht, während in Nordamerika zumindest ein Beta-Test mit der neuen FSD-Software dafür läuft.
Nach Angaben von CEO Musk Anfang Juni soll die Beta-Software bald so weit sein, dass sie europäischen Regulierern sinnvoll gezeigt werden könne. Doch für eine Zulassung in Europa wäre nach der Einschätzung eines Beobachters eine weitere Neuregelung auf UNECE-Ebene erforderlich, die zu diesem Zeitpunkt nur als grober Entwurf voller Auslassungen vorgelegen habe. Mit einem Start des FSD-Tests in Europa noch in diesem Jahr rechnete er deshalb nicht, und zu diesem Thema schien die Organisation jetzt auch nichts Neues zu berichten zu haben. Also könnte es dazu kommen, dass deutsche Mercedes-Fahrer Anfang 2023 bei Autobahn-Richtgeschwindigkeit E-Mails lesen dürfen, während Tesla-Kunden noch auf den Start des Beta-Tests warten. Nachdem vor kurzem selbst Volkswagen mit seinem aktuellen Level-2-Assistenten am aktuellen Autopilot-System vorbeigezogen sein soll, werden manche zunehmend ungeduldig.