Die meisten unserer längeren Wege legen wir in einem Tesla Model Y zurück, aber gelegentlich stellen uns andere Hersteller interessante Elektroautos zum Testen zur Verfügung. So hatten wir in diesem Frühjahr eine Woche lang das Vergnügen mit dem Porsche Taycan GTS, was weitgehend wörtlich zu verstehen ist, und jetzt konnten wir über knapp 1000 Kilometer einen Kia EV6 testen – eher in unserer Tesla- als der Porsche-Klasse, aber immerhin das Car of the Year 2022. Dabei konnten wir feststellen, dass er in mancher Hinsicht mehr bietet als unser Model Y. Allerdings fehlt für ein modernes Elektroauto der letzte Software-Schliff.
Schneller laden als Kaffee trinken
Der von uns getestete Kia EV6 mit Heckantrieb kostete 59.600 Euro mit Extras, zu denen das Assist-Paket, das Sound+Paket und die Wärmepumpe zählten. Außerdem war er in der Metallic-Farbe Snow White Pearl lackiert. Das Elektroauto teilt sich die Plattform E-GMP mit dem Hyundai Ioniq 5 aus dem gleichen Konzern, was unter anderem 800-Volt-Technik für den Antrieb mit schnellem Laden bedeutet. In unserem Test erreichten wir an geeigneten Säulen höchste Leistungen – fast immer auf Anhieb mindestens 170 kW. Die blieben zudem lange erhalten, einmal bis knapp 80 Prozent. Die klassische Kaffee-Pause wird so schon fast zu lang. Die von Kia angegebene maximale Leistung von 240 kW haben wir aber nicht erlebt.
Ein kleiner Kritikpunkt: Die Ladeklappe ist sehr groß, und um einen CCS-Stecker anschließen zu können, muss man von Hand eine kleine Plastik-Abdeckung entfernen. Diese haben wir nach dem Laden mehrfach vergessen, und sie hing aus einer Fuge zwischen Ladeklappe und Karosserie hervor. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Warum Kia diese Lösung wählt, ist uns ein Rätsel.
Ansonsten wirkt das Elektroauto von außen auf den ersten Blick sehr modern und auf den zweiten auch. Uns gefällt es Fahrzeug optisch sehr. Im Innenraum bietet es viel Platz. Auch hinter dem Fahrer bleibt ausreichend Raum, um bequem zu reisen. Gerade die Innenausstattung ist sehr komfortabel. Überall gibt es kleine und große Ablagen, und das Smartphone kann per induktiver Funktion aufgeladen werden. Unser riesiges Huawei-Telefon passte gerade so in die Schale, lag dann aber sehr sicher.
Kia EV6 dynamisch und sparsam
Mit Blick auf die Fahrleistungen fiel uns auf, dass sich der EV6 recht sportlich durch Kurven fahren lässt. Er sieht also nicht nur dynamisch aus, sondern ist es auch. Auf Druck auf das Strompedal reagiert das Fahrzeug variabel. Dazu gibt es drei Stufen (unter anderem Eco), wobei die Empfindlichkeit bei der sportlichsten deutlich zunimmt, sodass man schon mal nach hinten nickt. Generell bleiben die Beschleunigungswerte deutlich unter denen eines Tesla Model Y und selbst des kleinsten Model 3 zurück. Knapp 7,3 Sekunden braucht der Kia in der von uns gefahrenen 229-PS-Variante mit 77,4 kWh großer Batterie, um von 0 auf 100 km/h zu beschleunigen. Bei 185 km/h, angezeigt 192 km/h, macht dann die Software Schluss. Das ist mehr als ausreichend. Bis 150 km/h schwimmt man völlig unaufgeregt auf der Autobahn mit.
Die Fahrassistenzsysteme sind gut. An Bord unseres EV6 waren sowohl Abstandstempomat als auch eine Art Spur-Assistent. Damit fährt man gut unterstützt. Allerdings hatte unser Test-Fahrzeug eine unschöne Eigenart: Bei aktiviertem Spurhalten eierte es hartnäckig über die Autobahn. Das Lenkrad bewegte sich ständig und dauernd hin und her, sodass man richtig schaukelte. Womöglich ist diese Bewegung Kias Art der Kontrolle, ob der Fahrer die Hände am Lenkrad hat. Denn: Hielt man es übertrieben fest, schaukelte nichts mehr. Hielt man es locker, meckerte der Kia dagegen ständig, man möge die Hände an das Lenkrad nehmen.
Auf der Langstrecke ist der Kia EV6 sparsam unterwegs. Wir erlebten Verbräuche zwischen 17 und 23 kWh, an denen wir wenig auszusetzen haben. In der Stadt ging es ebenfalls sparsam zu. Auf unserer Stadtrunde aus der Mitte Berlins nach Spandau, diesmal bei knapp 35 Grad Außentemperatur, verbrauchte das Elektroauto gemäß seiner eigenen Anzeige nur 16 kWh. Kritisieren muss man in diesem Zusammenhang aber, dass in seiner Navigation keine Ladestopp-Berechnung integriert ist – es gibt nicht einmal eine Anzeige der restlichen Akku-Prozent, sondern nur der Reichweite. Längere Fahrten mit Stopps zum Laden muss man also mit externen Geräten planen. Im EV6 gibt es dafür noch prominent einen Reiter für Tankstellen bei den Points of Interest, aber immerhin auch einen für Ladesäulen.
Integration wie bei Tesla fehlt
Gerade bei der Supercharger-Integration hat Tesla den Standard gesetzt und hält ihn bislang, doch selbst in manchen digitalen Bereichen ist stattdessen der Kia vorn. Die Sitze in unserem EV6 waren wie in Model 3 und Model Y aus Kunstleder, ließen sich aber anders als bei Tesla belüften – ein streng analoges Komfort-Merkmal, aber sehr angenehm an heißen Test-Tagen. Wir fanden auch das Head-up-Display im EV6 gelungen und nützlich. Für uns ist es ein echtes Sicherheitsfeature, und selbst im VW ID.3 ist es zu haben. Hier sollte Tesla eventuell noch einmal nachdenken, bevor autonomes Fahren so etwas überflüssig macht. Noch ein Kia-Patzer innerhalb einer an sich gelungenen Funktion: Man kann das Elektroauto von außen alleine ein- und ausparken lassen, drückt aber mangels Feedback oft nicht rechtzeitig genug auf die Taste dafür.
Insgesamt hat uns der Kia EV6 sehr gut gefallen. Beim physischen Komfort überbietet er unser Model Y, wie wir neidlos anerkennen, und Nachladen geht beeindruckend schnell. Aber die Navigation dafür müsste bei einem modernen Elektroauto besser integriert sein, und mit Tankstellen-Vorschlägen darin blamiert man sich fast. Immerhin ist das Infotainment-System laut Kia per Funk aktualisierbar, sodass der EV6 Potenzial hat, ein nicht nur weitestgehend, sondern rundum gelungenes Elektroauto zu werden.