Von einem Tesla Model 3 Standard Range haben wir uns über die Variante Long Range bis zu unserem aktuellen Model Y vorgearbeitet, aber zu einem ausführlichen Test des Porsche Taycan GTS für knapp 170.000 Euro sagen wir natürlich auch nicht Nein. Auf Fahrten von zusammen 1700 Kilometern innerhalb einer Woche erkannten wir, was wir bei Tesla vermissen und warum Porsche ein Premium-Hersteller ist, und sammelten die ersten intensiveren Erfahrungen mit Laden abseits von Superchargern.
Porsche-Elektroauto für den Alltag?
Die Daten zu dem Porsche-Elektroauto machen gespannt: 250 km/h Höchstgeschwindigkeit, 3,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h, 83,7 kWh Netto-Batteriekapazität (brutto 93,4 kWh), 270 kW maximale Ladeleistung und 170.327,15 Euro Kaufpreis. Im Grunde müssten wir den Taycan GTS mit einem Model S Plaid vergleichen – zumindest preislich, denn das Model S Plaid beschleunigt mit 2,1 Sekunden von 0 auf 100 km/h deutlich schneller. Wir vergleichen die beiden schon deshalb nicht direkt, weil in Europa weiter nicht an ein Model S Plaid zu kommen ist. Außerdem hat Porsche gewiss einen höheren Anspruch an sich selbst, wenn es um Verarbeitung und Qualität geht. Was Software und Bedienung angeht, sind aber selbst die kleinen Teslas vorn.
Ein Porsche im Alltag? Mit dem Taycan ist das möglich, wenn auch sehr auffällig. Wir erlebten ein Fahrzeug, das dank einer Luftfederung selbst auf schlechtesten Straßen sanft und komfortabel unterwegs war. Hier merkt man, was technisch möglich ist und man bei kleineren Teslas vermisst, zumal wir die gleichen Strecken mit unseren früheren Model 3 und jetzigem Model Y fuhren. Selbst auf städtischem Kopfsteinpflaster filtert das Porsche-Fahrwerk fast alles weg, ohne Rückmeldungen vermissen zu lassen. Wer es sportlich mag (bei einem Porsche sehr wahrscheinlich), kann aber auch ultrahart und tief unterwegs sein. Die Verstellung funktioniert per Touchscreen sehr einfach.
Im Innenraum ist für den Alltag viel Platz. Zusammen knapp 440 Liter Kofferraumvolumen vorn und hinten sind nicht besonders viel, wir konnten unser Reisegepäck für zwei Produktionsreisen aber gut und sicher unterbringen. Auf der Rücksitzbank ist Platz für einen klassischen Kindersitz, ohne dass sich der Beifahrer unbequem weit nach vorn schieben muss.
Ein interessantes Feature des Taycan GTS ist sein Sound-Generator. Der sogenannte Porsche Electric Sport Sound kann individuell aktiviert werden und ist eine Mischung aus althergebrachten, wirklich bulligem Motorgrummeln und einer verbundenen Adaption aus technischen Synthesizer-Klängen. Der Sound ist nicht nur im Inneren zu hören, auch außen nimmt man diese Geräusche wahr. Solche künstlichen Elektroauto-Geräusche sind umstritten, wir erlauben uns, sie bei dem Porsche zumindest gelungen und zum Charakter passend zu finden. Und man kann sie abschalten.
Keine Überraschungen im Taycan GTS
Ansonsten ist an Bord nichts wirklich überraschend. Die Assistenz-Systeme sind gut verständlich und funktionierten bei unserem Test sehr gut. Wir erlebten Tesla-untypische Perfektion. Der Lichtassistent zum Beispiel verdient seinen Namen wirklich. Er blendet entgegenkommende Fahrzeuge zuverlässig aus. Auch die Geschwindigkeitslimit-Erkennung funktionierte fehlerfrei. Wir sagen es ganz deutlich: Hier merkt man, wo Tesla sich erhebliche Schwächen leistet. Besser funktionierende Systeme kennen wir nicht nur bei Porsche, auch die ID-Elektroautos vom Volkswagen-Konzern assistieren in Europa laut anderen Testern inzwischen besser als Teslas Autopilot.
Wer sich mit dem Navigationssystem im Taycan vertraut macht, stellt auf der anderen Seite schnell fest: Das ist althergebrachte Software. Die Touch-Bedienung funktioniert, wirkt aber träge. Das macht einen weniger modernen Eindruck als ein Tesla für viel weniger Geld. Insgesamt ist die Navi-Leistung trotzdem auch im Output solide. Routen werden also gut und schnell berechnet. Dabei werden Ladestopps mit eingeplant, was sehr sicher funktionierte. Zwischenziele sind möglich. Was uns gefällt: die Individualisierung von Details in Bezug auf die Ladezustände. Man kann zum Beispiel exakt festlegen, mit welchem Akku-Stand man am Ziel ankommen möchte.
Allein am Fahrersitz des Taycan GTS finden sich sechs Knöpfe und Schalter, um die Sportsitze auf fast jede erdenkliche Weise zu verstellen. In der Praxis heißt das: So bequem sind wir selten gereist. Die Seitenwangen sind ebenso einstellbar wie die Beinauflage. Manchmal wird Tesla vorgeworfen, die Bedienung sei umständlich oder nicht intuitiv, doch am Sitz des Porsche merkt man, was das eigentlich bedeuten kann: Man weiß eben zuerst nicht, wie etwas geht, und muss es zwei- oder dreimal gemacht haben. Dann aber kann man es einfach und schnell reproduzieren.
Schnelles Laden, wenig Entertainment
Dank des recht großen Akkus und des sehr guten Fahrwerks liebten wir den Taycan auf der Langstrecke. Die Fahrt war merklicher angenehmer als früher im Model 3 oder heute im Model Y. Hinzu kommt eine wirklich atemberaubende Ladeleistung: Im Grunde bei jedem Laden unterhalb von 80 Prozent sahen wir an den schnellen EnBW- oder Aral-Ladesäulen Werte über 120 Kilowatt und meist über 150 kW. Von fünf bis 80 Prozent brauchten wir mehrfach knapp unter 20 Minuten. Wir denken, dass Porsche sich diese Werte unter anderem mit einem größeren Netto-Brutto-Puffer des Akkus erkauft.
Wer diesen Porsche fährt und häufig auf Langstrecken von Großstadt zu Großstadt zurückzulegt, erlebt ein Ladenetzwerk, das durchaus funktioniert. Wir standen häufig bei Aral oder bei Hellweg. Dort finden sich schnelle Ladesäulen, und das Porsche-Navigationssystem berechnet die Routen häufig über diese Angebote. Dieser Test gab uns einen Einblick in eine neue Ladewelt, da wir unser Model Y außerhalb der Heimatstadt bisher fast ausschließlich im Supercharger-Netzwerk luden. Jedenfalls ist festzustellen, dass diese Art des Ladens im Porsche für uns zuverlässig funktioniert hat. Vor kaputten oder belegten Säulen standen wir nicht.
Das Entertainment im Taycan beschränkt sich auf eine einigermaßen gelungene Integration von Spotify und Apple Music. Letzteres nutzen wir mangels iPhone nicht, Spotify aber gehört zu unserem Leben wie Wasser zum Trinken. Im Vergleich zu den Tesla-Systemen fällt die Leistung sehr ab. Alles dauert in dem Elektro-Porsche lange, oft stottert die Musik, die Bedienung auf dem kleinen Display ist mühsam. Viel Tippen ist notwendig, um beispielsweise die Lieblingssongs zu spielen. Aber auch das funktioniert. Man muss also nicht auf seine Spotify-Playlists verzichten. Zur Not nutzt man die Bluetooth-Musicplayer-Funktion per Smartphone und steuert darüber. Mehr Entertainment gibt es in diesem Porsche nicht – wenn man das durchaus erhebende Gefühl nicht mitzählt, dass man darin sitzt.
Verbrauch viel höher als mit Tesla
Muss man bei einem derart teuren Fahrzeug über den Verbrauch berichten? Wir sind davon überzeugt, dass er in dieser Fahrzeugklasse keine entscheidende Rolle spielt. Interessant ist er trotzdem, und weil er sich direkt auf die Reichweite auswirkt, vielleicht auch wichtiger als bei einem Verbrenner. Also haben wir den Taycan GTS zunächst auf einer uns gut bekannten Strecke in Berlin getestet, knapp 17 Kilometer durch die ganze Stadt und dann nach Spandau. Hier sahen wir knapp 27 kWh auf 100 Kilometer, während das Model Y zur selben Tageszeit laut Anzeige mit 16 kWh auskam – kein wissenschaftlicher Verbrauchstest, aber ein deutlicher Unterschied. Auf der Langstrecke hatten wir durchweg circa 28 kWh im Porsche, unser Model Y verbraucht laut Anzeige bei vergleichbarer Fahrweise 19 kWh. Auch hier ist die Differenz also ausgeprägt.
Mit dem Taycan hat Porsche ein Elektroauto im Programm, das mit Blick auf die klassische Qualität Bestwerte erreicht. Die Verarbeitung unseres Exemplars war grandios, die Fahrleistungen beeindruckend, der Innenraum fein und schön, die Langstrecken-Erfahrung fast unerreicht. Wer mehr auf den Digital-Faktor achtet, kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass Porsche ein recht klassisches Fahrzeug mit Elektroantrieb liefert – das zudem mittels Sound-Generator an früher erinnert.
Was sonst noch war:
– Unser Autor wurde auf der Autobahn 9 in Richtung München in einer 120er Zone geblitzt. Mal sehen, ob er ab demnächst Fußgänger ist, oder ob die angezeigten 144 km/h im Porsche doch etwas weniger waren.
– Ein dem Anschein nach der linken Szene zugehöriger Fahrradfahrer kippte uns in Berlin Bier über das Autodach des Taycan. Wir erkannten die Marke Sternburg.
– Während unseres fast 1700 Kilometer langen Tests brach das Laden bei Aral Pulse dreimal und einmal bei Hellweg/EnBw ab. Bei Porsche in Magdeburg wurde die Porsche-Ladekarte nicht erkannt, weswegen wir dort gar nicht laden konnten.
– An einem Hellweg-Baumarkt in Berlin hörten wir einen kleinen Jungen, vielleicht fünf Jahre alt, zu seinem Papa sagen: „Papa, warum steht hier ein Porsche? Baut der sich auch ein Hochbeet?“