Bild: Lei Xing
Zu den mehr als 500.000 Menschen aus 82 Ländern, die nach Angaben des Veranstalters in diesem Jahr die Messe IAA Mobility besuchten, zählte auch Lei Xing, ein aus China stammender Journalist, der die weltweite Auto-Branche heute von den USA aus beobachtet. Für den Blog EVsmart hat er seine reichlichen Eindrücke von der deutschen Messe zusammengefasst. Wir geben den Beitrag hier mit seiner freundlichen Genehmigung übersetzt wieder.
Messe als Moment des Erwachens
Seit der IAA Mobility 2023 Anfang September in München, der Heimat von BMW, FC Bayern und Oktoberfest, ist inzwischen einige Zeit vergangen. Aber ich konnte nicht aufhören, an die Anblicke und Geräusche, die Erfahrungen, die Gespräche und die Interaktionen zu denken, die ich während meiner insgesamt acht Tage in der bayerischen Hauptstadt und ihrer Umgebung mit vielen Menschen, Produkten und Technologien erlebt habe.
Nicht unerwähnt bleiben sollen das perfekte Wetter (während meines Aufenthalts gab es jeden Tag Sonne und blauen Himmel), das Bier (ich habe es jeden Tag getrunken, an manchen Abenden mehr als an anderen), das Essen (Bratwurst, Schnitzel, Schweinshaxe, Kartoffeln und Sauerkraut und alle möglichen Sorten deutsches Brot), die netten Menschen, die wunderschöne historische und moderne Landschaft und alles andere, was die 865 Jahre alte Stadt zu bieten hat.
Vom Moment meiner Landung am Morgen des 1. September bis zu meinem Abflug am 9. September habe ich viel erlebt, manches geplant und einiges zufällig. Ohne Zweifel war die IAA eine der unvergesslichsten Auto-Messen, die ich in letzter Zeit besucht habe, und eine der besten der mehr als 20 Jahre, in denen ich über die chinesische Auto-Industrie berichte. Die Auto Shanghai 2023 in diesem April wird wahrscheinlich von keiner anderen Messe übertroffen werden. Sie brachte die Welt zurück zu der Party in China, und die einheimischen Hersteller schockierten (hauptsächlich ihre etablierten West-Konkurrenten). Aber die IAA Mobility 2023 hat dank eines neuen Formats und guter Organisation chinesische Elektroautos, autonome Fahrzeuge und Chips zusammen mit Messe-Flair nach Deutschland geholt.
Deutsche haben sich selbst übertroffen
Ich würde die IAA mittlerweile als wichtigste Auto-Messe nur hinter Peking und Shanghai einstufen (sorry, Paris, Tokio und Genf). Meine Woche in München übertraf die fantastische Woche, die ich vergangenen September in Detroit bei der North American International Auto Show 2022 hatte (sorry, Motor City). Den zweiten September in Folge erlebte ich also ich eine unglaubliche Woche in einer Stadt voller Automobil-Geschichte.
Warum war die IAA Mobility 2023 ein großer Erfolg und unvergesslich – wenn nicht unbedingt für jeden der laut Veranstalter mehr als einer halben Million Besucher und 3700 Journalisten aus 82 Ländern, dann doch für mich?
Erstens haben die Deutschen sich selbst übertroffen, indem sie neu erfunden haben, wie eine Auto- und Mobilitätsmesse aussehen kann (mit Blick auf Elektroautos kann man das nicht unbedingt sagen, aber dazu später mehr). Ein großes Lob an den VDA und die Messe München, die aus der IAA Mobility zwei Messen in einer machten: den IAA Summit im traditionellen Messehallen-Stil für Fachleute auf dem Messegelände im Osten Münchens und den festivalartigen IAA Open Space auf verschiedenen Plätzen und sogar in Museen in der Innenstadt, kostenlos für die breite Öffentlichkeit. Beide waren sehr effektiv darin, Menschen anzulocken und Gespräche zu fördern.
Zweitens verfügt München über eine einzigartige städtische Gestaltung und Infrastruktur, die das neue Format erlaubt, wie es in Shanghai, Peking oder Detroit nicht möglich wäre. Der Marienplatz, der Königsplatz, der Max-Josef-Platz und die Ludwigstraße mit Ständen verschiedenster Marken waren fußläufig voneinander entfernt und boten reichlich Freiraum zur Begegnung. Die Messe München als Austragungsort des IAA Summit war etwa 25 Minuten mit der U-Bahn vom Open Space entfernt. Die Stadt bot vielfältige Möglichkeiten zur Fortbewegung: zu Fuß, mit Bus, Straßenbahn, U-Bahn, Roller, Fahrrad oder Auto. Ich habe mir für 20,20 Euro eine Wochenkarte gekauft, mit der ich während der regulären Betriebszeiten unbegrenzt öffentliche Verkehrsmittel nutzen konnte, und habe intensiv davon Gebrauch gemacht. Die Apps von IAA Mobility und der Deutschen Bahn haben gut funktioniert, wenn ich ein Ticket kaufen oder nachsehen wollte, wohin ich fahren muss.
Drittens boten sowohl Summit als auch Open Space den Besuchern neben anderen Erlebnis- und Familien-Aktivitäten die Möglichkeit, Elektroautos und E-Bikes Probe zu fahren. Nach Angaben der Organisatoren gab es im Lauf der Messe mehr als 8500 Testfahrten mit Elektroautos und 4000 mit E-Fahrrädern. Ich selbst war mit unterschiedlichen Modellen auf zwei wie vier Rädern dabei.
Augenöffnende Elektroauto-Technologie
Viertens war die IAA Mobility 2023 die erste globale Automobil-Messe in Deutschland mit normaler Besuchsmöglichkeit aus aller Welt seit der IAA in Frankfurt im Jahr 2019. Es war auch das erste Mal seit der Pandemie, dass eine große Zahl chinesischer Aussteller und Medien anreisen konnte. Man konnte den Enthusiasmus, die Aufregung und den Eifer der Menschen spüren. Für die lokale Öffentlichkeit war es ebenso augenöffnend, chinesische Elektroauto-Technologie zu erleben, wie für chinesische Medien und Aussteller, eine innovative deutsche Automobil-Ausstellung zu sehen.
Fünftens fand parallel zu der Messe zum ersten Mal außerhalb Chinas die World New Energy Vehicle Conference (WNEVC) statt. Es war großartig, die CEOs deutscher Automobil-Hersteller zusammen mit ihren Kollegen bei führenden Elektroauto-, Autonomie-, Batterie- und Chip-Unternehmen aus China unter einem Dach zu haben. „Die ganze Bande war da“, beschrieb es Tu Le, mein Co-Moderator bei dem Podcast China EVs & More.
Acht Tage volles Programm in Bayern
Ich selbst war nicht nur auf dem Messe-Gelände und im Open Space unterwegs. Hier ist ein kurzer Überblick über meine Aktivitäten:
1. September: Besuch des kürzlich eröffneten NIO Hub und Probefahrt mit dem SUV EL7 SUV (in China ES7 genannt). Zum ersten Mal konnte ich ein intelligentes chinesisches Elektroauto auf einer deutschen Autobahn testen, mit einer Geschwindigkeit von fast 190 km/h. Meine Mittagspause machte ich zufällig direkt neben einem riesigen Tesla-Lieferzentrum in Parsdorf.
2. September: Ich konnte einen ersten Blick auf das Konzept von Mercedes für das neue CLA-Elektroauto werfen, habe die neue E-Klasse als Plugin-Hybrid getestet und mir die Popup-Präsenz für den Voyah Free im Einkaufszentrum Fünf Höfe am Marienplatz angesehen. Natürlich fuhr ich das Elektroauto auch auf den Straßen Münchens zur Probe – wie sich herausstellte, als erster Besucher.
3. September: Besuch in dem Museum Residenz München, in dem Mercedes seine „Cube“-Ausstellung zeigte, und Interview mit CEO Ola Källenius und der Vertriebs- und Marketingleiterin Britta Seeger; später am Abend weltweite Premiere des CLA-Konzepts.
4. September: Pressetag beim IAA Summit, wo ich unter anderem Konferenzen von Volkswagen, CATL, BYD, Xpeng, Leap Motor, Magna, Avatr und Ecarx besuchte. Es war ein Tag, an dem China glänzen konnte. Der Abend endete mit einer Fahrt in einem geliehenen ET7 zu einem Abendessen mit einigen Freunden bei Nio. Allein an diesem Tag habe ich viele alte und neue Freunde aus der Branche getroffen, manche von ihnen zum ersten Mal seit Jahren.
5. September: Vormittags im Mercedes-„Cube“, um mehr über Ladetechnologie zu erfahren, gefolgt von einer Busfahrt nach Stuttgart und einem Besuch im Mercedes-Benz Museum (ich muss zum vierten oder fünften Mal dort gewesen sein).
6. September: Besuch der Factory 56 (wo unter anderem die S-Klasse und der EQS hergestellt werden, Teil des Produktionskomplexes von Mercedes in Sindelfingen). Probefahrt mit dem AMG GT 63 SE Performance von Sindelfingen nach Affalterbach, der Heimat von AMG, und Besichtigung der berühmten „One Man One Engine“-Produktionsstätte. Später am Abend mit dem ICE von Stuttgart zurück nach München.
7. September: Noch einmal auf dem IAA Summit, um mir weitere Elektroautos, Batterien, Chips und autonome Fahrzeuge aus China anzusehen. Probefahrt mit dem elektrischen Zweisitzer XEV YoYo, der in Italien beliebt ist, und mit einem HiPhi Z, in dem Monitore in Echtzeit die Punkte-Wolke des Lidar-Sensors anzeigten. Viele weitere Gespräche mit alten und neuen Branchenkennern, unter anderem Daniel Kirchert, dem Gründer von Noyo Mobility und ehemaligen President von Byton, der seit mehr als 25 Jahren in China lebt.
8. September: Auf dem Weg zum Flughafen mit meinem Co-Moderator Tu Le im Nio ET7 nahmen wir eine Podcast-Folge auf, dann fuhr ich zur BMW Welt, wo ich das BMW Museum besuchte und an einer Live-Übertragung zur IAA einer chinesischen Plattform teilnahm. Mein letzter Abend in München und eine tolle Reise wurden mit einem schönen Abendessen mit Schweinshaxe und Bier in einem Restaurant direkt gegenüber dem Stand von BMW und Mini am Max-Josef-Platz abgerundet.
Bevor ich am Morgen des 9. September aus Deutschland abflog, kam ich an dem Showroom vorbei, den HiPhi erst Anfang der Woche am Münchener Flughafen eröffnet hatte. Mehrere HiPhi Z und Y waren auf einem Platz vor dem Terminal geparkt.
China glänzt nach Deutschland
Wenn ich meinen Eindruck von der IAA Mobility 2023 knapp zusammenfassen müsste, würde ich „China und Deutschland auf Kollisionskurs“ wählen. Vor dem 4. September standen die Deutschen im Rampenlicht und in den Schlagzeilen: Noch vor dem Pressetag stellten BMW, Mercedes-Benz und der Volkswagen-Konzern nacheinander wichtige Elektroautos vor: den elektrischen Mini Cooper und Countryman, das Konzept für die Neue Klasse, das Konzept für die CLA-Klasse, das Konzept ID.GTI und das Konzept Cupra DarkRebel. Audi enthüllte außerdem den Innenraum seines kommenden Q6 e-tron auf Basis der PPE-Plattform. Was das mit China zu tun hat? Nun, viele dieser Modelle werden 2025 oder 2026 dort in Produktion gehen.
Ab dem 4. September aber waren chinesische Unternehmen an der Reihe zu glänzen. BYD brachte den Seal für 44.900 Euro bis 50.990 Euro vor Subventionen auf den europäischen Markt, stellte das SUV Seal U vor und zeigte den Van Denza D9 zum ersten Mal außerhalb Chinas. Leap Motor präsentierte den C10, sein erstes globales Modell, basierend auf der LEAP 3.0-Architektur sowie seiner „Four-Leaf Clover“-Elektroauto-Plattform, die laut Gerüchten von Jetta aus dem VW-Konzern und dem Stellantis-Konzerns genutzt werden könnte. Xpeng kündigte offiziell den Markteintritt in Deutschland und weiteren europäischen Märkten im nächsten Jahr an, einschließlich der Einführung eines Rechtslenker-G6.
Avatr lud unweit der BMW-Zentrale zur Weltpremiere des kommenden viertürigen Coupes Avatr 12 ein (wahrscheinlich meine erste globale Premiere eines chinesischen Elektroautos in Deutschland). Dongfeng Forthing stellte sein neues Flaggschiff U-Tour V9 vor, einen Plugin-Hybrid im MPV-Format, und kündigte für 2024 seine erste rein elektrische Familien-Limousine an. Seres, in Europa bereits vertreten, kündigte den Start seines rein elektrischen SUV S1 an. MG als wichtige chinesische (und britische) Marke zeigte den Roadster Cyberster, der nach Europa kommen soll, sowie den MG4 Electric Xpower und das größere Elektro-SUV Marvel R. BYD hatte sowohl beim IAA Summit als auch beim IAA Open Space große Stände, die viele Menschen anzogen, bei Xpeng und Avatr erwiesen sich die Stände im Open Space als attraktiv.
Nicht nur Elektroautos aus China
Nicht nur Elektroautos aus China standen im Rampenlicht der IAA. Auch viele der weltweit führenden Batterie-Hersteller aus dem Land, darunter CATL, Eve, Sunwoda, CALB, Farasis und REPT, zeigten ihre neuesten Produkte. CATL brachte die vor kurzem vorgestellte Shenxing-Batterie für superschnelles Laden auf Basis der LFP-Chemie mit nach München und kündigte an, dass sie für Europa verfügbar sein wird. Eve zeigte seine kommenden 46XX-Batteriezellen für die Neue Klasse von BMW.
Neben Herstellern von Elektroautos und Batterien waren noch weitere chinesische Unternehmen präsent: der Antriebszulieferer Aurobay, der von Geely und Volvo gegründet wurde und jetzt zu einer größeren Gesellschaft mit Geely und Renault gehört; Startups für autonomes und intelligentes Fahren wie DeepRoute, Qcraft und Zongmu; Chip-Unternehmen wie Horizon Robotics, Black Sesame und Ecarx, ebenfalls mit Geely verbunden; LiDAR-Hersteller wie Hesai und Liangdao sowie Startups für intelligente Cockpits und Innenräume wie Sense Auto und Pateo.
Insgesamt stellten mehr als 50 chinesische Unternehmen auf der IAA Mobility 2023 aus. Das waren mehr als doppelt so viele wie bei der IAA Mobility 2021, die noch unter Pandemie-Einschränkungen stattfand, und mehr Aussteller als aus Deutschland.
Scharen deutscher Besucher bei BYD
Unzählige Momente ließen den angesprochenen Kollisionskurs zwischen China und Deutschland erkennen. Sei es der BYD-Chairman Wang Chuanfu, der ein paar Meter neben mir stand und der Rede von Ralph Brandstätter lauschte, CEO der Volkswagen Group China, der bei der Pressekonferenz seines Konzerns über China-Tempo und die Zusammenarbeit mit Xpeng sprach. Oder das große Interesse an der Pressekonferenz von BYD, dessen deutscher Designchef Wolfgang Egger den Seal präsentierte. Die Vertreter führender deutscher und europäischer Zulieferer, die sich bei der Enthüllung des globalen C10 mit der Führung von Leap Motor austauschten. Die Scharen von deutschen Besuchern an den Ständen von BYD, Xpeng und Avatr.
Ich sah Autos von BYD, Xpeng, Seres, Nio, MG und Voyah auf den Straßen von München. Bundeskanzler Olaf Scholz versicherte den deutschen Auto-Herstellern, dass sie mit China konkurrieren können. Mercedes-Chef Källenius betonte, dass die Marke ihren Stern nicht auf einem Fahrzeug zeigen werde, das auf einer chinesischen Plattform basiert. Wan Gang, der ehemalige Minister für Wissenschaft und Technologie, auch „Pate“ der Elektroauto-Industrie in China genannt, der auf der WNEVC erklärte, wie das Land so weit gekommen ist.
Mir sind so viele eindrückliche Bilder in Erinnerung geblieben, dass es schwierig ist, sie alle aufzuzählen. Nach der Messe in München ging es in diesem Stil weiter: Der chinesische Hersteller Gotion begann mit der Produktion von Batterien in seiner ersten europäischen Anlage im deutschen Göttingen und die EU-Kommission leitete eine Antidumping-Untersuchung zu Elektroautos China ein.
Wechselseitige Abhängigkeiten
Ohne Zweifel braucht China Deutschland, und Deutschland (und auch Europa) braucht China, wenn es um Elektroautos geht, mit Blick auf Technologie-Angebot wie Absatz-Märkte. Beispiele sind die Abhängigkeit deutscher Auto-Hersteller von chinesischen Batterie-Lieferanten sowie die Abhängigkeit chinesischer Elektroauto-Unternehmen von deutscher Technologie (so stellte ZF seine Steer-by-Wire-Technologie vor, die zuerst in kommenden Modellen von Nio genutzt wird). Viele der neuen Konzepte und neuen Produkte deutscher Hersteller auf der Messe waren in Bezug auf Design, Benutzer-Oberfläche, Bedienung und Funktionen höchstwahrscheinlich von chinesischen Elektroauto-Startups beeinflusst. Und noch viele weitere Technologie-Unternehmen aus China, die bei der IAA Mobility 2023 zu sehen waren, wollen in Deutschland und ganz Europa Fuß fassen.
Wenn die westlichen Hersteller bei der Auto Shanghai 2023 im April ihren ersten Schock erlebten, dann lieferte ihnen München einen zusätzlichen Moment des Erwachens in der Heimat. Er bedeutete, die Wettbewerbsfähigkeit von China anzuerkennen, auch wenn Subventionen eine wichtige Rolle für das Wachstum seines Elektroauto-Marktes gespielt haben. Der Volkswagen-Konzernchef Oliver Blume hat es vor kurzem in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung auf den Punkt gebracht: Protektionismus würde nur zu mehr Protektionismus führen. Trotzdem sollten die chinesischen Hersteller verstehen, dass es nicht einfach ist, in den europäischen Markt einzudringen, und sie sollten mit regulatorischen Rückschlägen rechnen.
Etwas wird passieren müssen.