Deutschland wird international die Nummer 1 beim autonomen Fahren: Das behauptete am Mittwoch zumindest das Bundesverkehrsministerium (BMVI) in einem Beitrag über einen Gesetzesentwurf zu diesem Thema, der am selben Tag vom Kabinett der Regierung genehmigt worden sei. Als erstes Land der Welt werde Deutschland „autonome Fahrzeuge aus den Forschungslaboren auf die Straße holen“, wird darin Minister Andreas Scheuer zitiert. Das hört sich so an, als werde Tesla in der Bundesrepublik frühzeitig die Fähigkeiten seiner Hardware und FSD-Software für zukünftig autonomes Fahren ausspielen können. Doch die Situation ist komplizierter.
Tesla-Chef sieht Autonomie in diesem Jahr
Laut Tesla-CEO Elon Musk sind alle heute produzierten Elektroautos des Unternehmens mit der gesamten Sensor- und Computer-Hardware ausgestattet, die für komplett autonomes Fahren (auch als Level oder Stufe 5 bezeichnet) erforderlich ist. Nur die Software müsse noch besser werden. Die aktuelle Beta-Version dafür wird wie das angepeilte Ergebnis als FSD (für Full Self-Driving) bezeichnet und nach aktuellen Aussagen von Musk von gut 1000 Personen in den USA getestet. Tesla-Fahrer in diesem Beta-Test melden regelmäßig beeindruckende, aber noch nicht perfekte Leistungen.
Schon Ende 2020 wollte Musk eigentlich so weit sein, dass eine Million Teslas die technische Fähigkeit haben, als „Robotaxis“ autonom herumzufahren und Geld für ihre Besitzer zu verdienen, wie er bei der Vorstellung des selbst entwickelten FSD-Computers im April 2019 ankündigte. Dieser Termin ist verstrichen, aber der Tesla-Chef bleibt optimistisch: Er sei extrem zuversichtlich, im Jahr 2021 volle Tesla-Autonomie erreichen und für die Kunden freigeben zu können, sagte er im Dezember 2020. Eine andere Frage ist laut Musk, wann ein solches System regulatorisch zugelassen wird. Doch auch in dieser Hinsicht ging er davon aus, dass es in diesem Jahr zumindest in manchen Ländern dazu kommen wird.
Könnte eines davon Deutschland sein? Zwar hatte Musk vor kurzem erwähnt, seiner Ansicht nach gehe es in Europa mit Autonomie-Regeln am langsamsten voran, doch der aktuelle Bericht aus dem deutschen Scheuer-Ministerium klingt offensiver. Das neue Gesetz solle Deutschland zum ersten Staat weltweit machen, „der Fahrzeuge ohne Fahrer aus der Forschung in den Alltag holt“, heißt es darin. Es solle bis Mitte 2021 von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden und habe zum Ziel, „bis zum Jahr 2022 Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen in den Regelbetrieb zu bringen“.
Gesetz für „festgelegte Betriebsbereiche“
Die Video-Begleitung in dem BMVI-Bericht spricht allerdings dafür, dass Scheuer dabei an ein ganz anderes autonomes Fahren denkt als Tesla-Chef Musk. Der Minister wird unter anderem auf dem Fahrer-Platz eines BMW gezeigt, dessen Lenkrad er wiederholt demonstrativ nicht in der Hand hält. Von außen ist gelegentlich auch ein Audi zu sehen, und einmal zeigt die Kamera einen mit Spezialtechnik vollgestopften Kofferraum. Wie Scheuer in einer Interview-Sequenz erklärt, spielen sich diese Szenen nicht auf normalen Straßen ab, sondern in einem Testfeld für autonomes Fahren, das Deutschland, Frankreich und Luxemburg 2019 in der Dreier-Grenzregion um Schengen im Saarland eröffnet haben.
Das entspricht der Autonomie-Vision, wie sie mit Ausnahme von Tesla fast alle Unternehmen in diesem Bereich verfolgen: Ihre Fahrzeuge sollen sich selbst zurechtfinden, aber nur in einem definierten Umfeld, das vorab exakt kartiert wird und vielleicht sogar noch technische Hilfen für die Roboter-Autos zur Verfügung stellt. Musk dagegen will seine Teslas überall dort fahren lassen, wo auch Menschen zurechtkämen, also ohne vorherige Vermessung allein mit Kameras und weit entwickelter FSD-Intelligenz.
Mit dem neuen Gesetz will das BMVI laut seinem eigenen Bericht autonomes Fahren bis zur Stufe 4 ermöglichen, also Autos, die ganz ohne menschlichen Fahrer unterwegs sein dürfen. Anders als bei der höchsten Stufe 5, die Tesla laut Musk anstrebt, können die Passagiere dabei aber noch einen Nothalt veranlassen. Schon das würde zwar über das hinausgehen, was Teslas Autopilot unabhängig von seinen Fähigkeiten heute darf. Aber wie das Ministerium auch schreibt, sieht das Gesetz eine örtliche Begrenzung „auf einen festgelegten Betriebsbereich“ vor, spielt also eher den Tesla-Konkurrenten in die Hände. Zudem wird in dem Text zu dem Entwurf darauf verwiesen, dass seine „Autorisierbarkeit durch die Europäische Kommission nicht abgeschätzt werden“ könne.