Was auch immer nach den Elektroautos von Tesla an alternativen elektrischen Angeboten auf den Markt gekommen ist, hatte gegenüber den Originalen bislang einen gravierenden Praxis- und Marketing-Nachteil: eine nach den Normen in den USA wie Europa mehr oder weniger deutlich geringere Reichweite. Der jetzt vor den ersten Auslieferungen stehende VW ID.3 kommt zwar bei zwei vergleichbaren Akku-Größen an das Tesla Model 3 heran, übertrifft es aber nicht. Wohl zum ersten Mal wirklich und dann gleich mit dem Reichweiten-Spitzenreiter Model S wird sich Tesla in dieser Hinsicht deshalb wohl einem Startup geschlagen geben müssen, dessen Chef sogar aus dem eigenen Haus kommt: Lucid mit dem Luxus-Elektroauto Air.
Früherer Tesla-Ingenieur will mehr
Lucid wird geführt von Peter Rawlinson, der 2009 von CEO Elon Musk vom britischen Partner Lotus zu Tesla geholt wurde, um die Entwicklung des Model S zu leiten. Mit Lucid habe er die Chance nutzen wollen, ein noch konsequenteres Elektroauto zu gestalten als das Tesla Model S, dessen Design noch an Verbrenner-Fahrzeugen orientiert gewesen sei, sagte der Ingenieur zu seinem späteren Wechsel. Wie anfangs Tesla positioniert er den Air im oberen Preis-Segment, setzt aber anders als sein früherer Arbeitgeber zusätzlich auf Luxus.
Und dazu gehört auf gewisse Weise sicher auch, nur dann zum Laden anhalten zu müssen, wenn man wirklich will. Auch Tesla schraubt die Reichweiten seiner Modelle vor allem mit Software immer weiter in die Höhe und hat mit dem Model S in den USA zuletzt die Schwelle von 400 Meilen nach der relativ strengen EPA-Norm um 2 Meilen überschritten. Lucid aber will mit dem Air noch einiges mehr: In einem Twitter-Teaser deutete das Unternehmen jetzt eine Reichweite von mindestens 441 Meilen (rund 710 Kilometer) an, also zehn Prozent mehr als beim langjährigen Primus Tesla.
How many miles can the #LucidAir go on a single charge? Find out on Tuesday, August 11th—we’ll reset the standard for EVs. pic.twitter.com/ACLBsgWNS5
— Lucid Motors (@LucidMotors) August 7, 2020
Jedenfalls spricht dafür deutlich das kurze Twitter-Video, das Lucid am Freitag veröffentlichte. „Das Elektroauto mit der größten Reichweite der Welt“, heißt es zu Anfang darin unbescheiden vor schwarzem Hintergrund. Anschließend zählt unter Computer-Fiepen eine Meilen-Angabe in großen Ziffern hoch. Erst geht das sehr schnell und wird kurz vor dem aktuellen Tesla-Höchstwert von 402 Meilen stockender – um dann doch noch einmal zu beschleunigen und bei 441 Meilen ausgeblendet zu werden. Die Ergebnisse lägen jetzt vor, ist zum Abschluss zu lesen, der „neue Standard“ werde am 11. August präsentiert.
Lucid Air in USA vor Mercedes EQS
Damit ist klar, wann das Luxus-Elektroauto im Detail vorgestellt wird und was CEO Rawlinson mit der früheren vagen Ankündigung, der Lucid Air werde weiter kommen als 400 Meilen, konkreter meinte – und vielleicht wird er nächste Woche sogar einen Wert knapp oberhalb der jetzt gezeigten 441 Meilen verkünden. Die Produktion des Lucid Air soll nach Angaben von Ende Juni Anfang 2021 beginnen, wohl zunächst nur für die USA.
Unabhängig von der jetzt gezeigten Reichweiten-Rivalität hat Rawlinson gesagt, dass er nicht als Konkurrent für Tesla gesehen werden möchte, sondern für Verbrenner-Luxusautos wie die Mercedes S-Klasse. Deren Elektro-Pendant EQS mit mindestens 700 Kilometern Reichweite nach der milderen Europa-Norm WLTP soll ebenfalls 2021 auf den Markt kommen, wie ein Daimler-Sprecher teslamag.de in dieser Woche bestätigte. Allerdings klangen seine Aussagen eher nach Ende als nach Anfang des Jahres, sodass der Lucid Air zumindest in den USA früher zu haben sein dürfte.