Im Jahr 2009 brauchte Tesla-CEO Elon Musk dringend Unterstützung, weil die Entwicklung des damals noch als White Star bezeichneten Model S stockte. Die bekam er in der Person von Peter Rawlinson, bis dahin Chefentwickler bei dem Partner Lotus, der die konstruktive Basis für Teslas erstes Elektroauto Roadster geliefert hatte. Das Model S wurde bekanntlich ein Erfolg, doch Rawlinson konnte nicht alle seine Vorstellungen umsetzen. Also ließ er sich von einem anderen Elektroauto-Startup abwerben. Und mit Lucid Motors will der Ingenieur nicht nur seine eigene frühere Arbeit übertreffen, sondern auch Tesla selbst, wie er jetzt in einem langen Interview erzählte.
Immer noch Respekt für Tesla
Als ihm der Wechsel angeboten wurde, habe er unter zwei Bedingungen zugesagt, berichtete Rawlinson der US-Zeitschrift Motortrend: Er wollte das beste denkbare Elektroauto entwickeln, besser als das Model S. Und er verlangte, dass sich das damals Atieva genannte Startup einen anderen Namen gibt; so wurde Lucid Motors daraus.
Heute gilt Lucid als einer der am ernstesten zu nehmenden Konkurrenten von Tesla bei Elektroautos. Ende des Jahres soll die Produktion des Modells Air beginnen, für das Lucid schon eine autobahnlastige Fahrt über 400 Meilen ohne Nachladen gezeigt hat. Rawlinson zeigt sich noch immer voller Respekt für seinen früheren Arbeitgeber, will mit dem Air aber eine echte elektrische Luxus-Limousine auf die Räder stellen, die zudem beispiellos effizient sein soll. Die Akku-Größe, die anfangs mit 130 Kilowattstunden angegeben wurde, konnte deshalb laut Rawlinson schon reduziert werden; einen neuen Wert nannte er nicht.
Mit dem Model S habe Tesla eine Chance verpasst, erklärte Rawlinson jetzt: Bei seinem Eintritt in Musks Unternehmen sei das Außen-Design für das zweite Modell schon festgelegt gewesen – er habe nur dafür sorgen sollen, dass die nötige Technik gut untergebracht ist. Das sei eine interessante Herausforderung gewesen, aber auch ineffizient. Denn um wirklich von den Größenvorteilen elektrischer Antriebe zu profitieren, müssten Design und Technologie miteinander interagieren, so Rawlinson. Das Tesla Model S dagegen habe vor allem cool aussehen sollen.
Tesla-Erfolg mobilisierte Kapital
Die meisten Mitarbeiter in seinem frühen Tesla-Team habe er selbst angeworben, berichtet Rawlinson, der bei Lucid heute CEO und Technikchef zugleich ist. Viele davon seien ihm nach seinem Wechsel auch gefolgt.
Außerdem hatte Rawlinson interessante Beobachtungen aus der Elektroauto-Szene in den USA zu berichten. Vor zehn Jahren sei Tesla noch der „Underdog“ gewesen, während vermeintlich kluges Kapital auf den Konkurrenten Fisker setzte. Durch den Erfolg des Musk-Unternehmens habe sich das geändert, und auch allgemein sei es zwischendurch leicht gewesen, Geld für Elektroauto-Pläne einzusammeln. Aber zu viele Konkurrenten hätten gedacht, dafür müsse man nur gekaufte Standard-Komponenten integrieren, was der Entwicklung insgesamt geschadet habe.
Für besonders „sexy“ dagegen sei in diesem Umfeld autonomes Fahren gehalten worden, das er selbst eher vorsichtig sehe, sagte der Lucid-Chef weiter. Die Technologie werde kommen, aber nicht in näherer Zukunft – und mit denselben Investitionen könne man sechs normale Elektroauto-Hersteller aufbauen.
Energiedichte besser als bei Tesla
Konkret zum Lucid Air, dessen für diesen Monat geplante Serien-Präsentation wegen des Coronavirus-Umfeld verschoben wurde, sagte Rawlinson, diesen werde es auch in einer Konfiguration mit drei Motoren geben, wie Tesla sie für das Model S angekündigt hat (CEO Musk bezeichnet sie begeistert als „Alien-Technologie“). Jeder der Motoren leiste bis zu 600 PS. Zudem habe Lucid eine Energiedichte von 16,7 Kilowatt pro Liter Volumen im Antrieb erreicht, auf die sonst niemand komme – nicht einmal Tesla.