Tesla scheint sich aus dem Reichweiten-Rennen vorerst zurückgezogen zu haben: Nachdem zunächst ein Model S Plaid plus mit 520 Meilen angekündigt und bestellbar war, sagte CEO Elon Musk es im Juni 2021 wieder ab, und gerüchteweise könnte Tesla auch von den 500 Meilen für seinen Top-Cybertruck vorerst Abstand nehmen. Andere Elektroauto-Hersteller aber schließen bei den Reichweiten zu Tesla auf oder wollen sie sogar übertreffen – was laut Marktforschern Probleme für das Volumen-Wachstum bereiten könnte.
Trend zu mehr Elektroauto-Reichweite
Von 2018 bis 2022 sei die durchschnittliche Reichweite von reinen Elektroautos von 230 Kilometern auf 337 Kilometer gestiegen, berichtete vergangene Woche die Nachrichten-Agentur Bloomberg auf Grundlage von Daten ihrer Marktforschungsmarke BNEF. Der Durchschnitt der Akku-Kapazität habe sich im selben Zeitraum um 10 Prozent pro Jahr auf 60 Kilowattstunden erhöht, und ein Ende dieser Entwicklung sei nicht in Sicht. Denn vor allem in den USA mit ihrer Pickup-Vorliebe würden mehr als 100 Kilowattstunden rasch zum Normalfall.
Tatsächlich hat die GM-Marke Chevrolet vor kurzem mit der Produktion des Silverado EV mit sogar mehr als 200 Kilowattstunden begonnen. Beim Basis-Preis ließen sich die zunächst angekündigten 40.000 Dollar nicht halten, aber die Reichweite soll mit 450 Meilen größer sein als nach den ersten Daten. Und beides zeigt genau das Dilemma, in dem die Elektroauto-Branche steckt: Kunden in den meisten Segmenten sagen laut BNEF, dass sie mehr Reichweite wollen. Aber das treibt nicht nur die Preise nach oben, sondern verschärft auch Probleme mit Rohstoff-Knappheit.
In ihrem Basis-Szenario gehen die Marktforscher davon aus, dass die durchschnittliche Elektroauto-Reichweite in den nächsten Jahren ein Plateau bei 400-500 Kilometern erreicht. Doch sie haben jetzt noch ein weiteres berechnet, in dem sich die bisherige Zunahme mit 5 Prozent mehr pro Jahr bis 2030 verlangsamt, aber fortsetzt. Im letzten Jahr der Betrachtung würde dann fast 50 Prozent mehr Batterie-Kapazität benötigt als bei dem zentralen Szenario, wobei eine gewisse Effizienz-Steigerung schon eingerechnet sei.
Tesla als Vorbild für die Branche
Das wiederum würde laut BNEF deutlich höhere Kosten für die Elektroauto-Hersteller bedeuten – und zwar nicht nur, weil sie mehr Batterie-Kapazität brauchen, sondern auch weil jede Kilowattstunde teurer werden könnte: In dem Szenario mit weiter wachsenden Reichweiten werde der Lithium-Markt im Jahr 2030 ein ausgeprägtes Defizit aufweisen, und auch die Versorgung mit Nickel sehe unter dieser Annahme nach großen Herausforderungen aus. Und wenn Hersteller bei hohen Batterie-Preisen und Kapazitäten nicht genügend Geld mit Elektroautos verdienen können, würden sie diese nicht in hohen Stückzahlen auf den Markt bringen.
Die Branche könnte in ihrem Bemühen, den Kundenwunsch nach mehr Reichweite zu erfüllen, also sozusagen sich selbst und der Verkehrswende ein Bein stellen. Als Gegenmittel empfiehlt BNEF Regierungen, ihre Förderung auf kleinere Elektroautos zu niedrigeren Preisen zu konzentrieren; außerdem sollen sie intensiv den Aufbau öffentlicher Ladeinfrastruktur unterstützen, die das beste Mittel gegen Reichweiten-Angst sei. Die ganze Welt soll also im Prinzip so vorgehen wie Tesla, das beim Rennen um mehr Kilometer pro Akku-Füllung derzeit aussetzt und mit seinen Superchargern eine Infrastruktur geschaffen hat, die zunehmend auch von anderen Elektroauto-Marken genutzt werden kann.