Anders als von den meisten Beobachtern erwartet, hat Tesla seinen Elektroauto-Absatz im ersten Quartal dieses Jahres trotz Coronavirus-Störungen gegenüber dem Vorjahr deutlich gesteigert. Die Produktion im Tesla-Stammwerk Fremont ruht sehr zum Unwillen von CEO Elon Musk seit Ende März, doch die Auslieferungen gingen weiter – auch in diesem April noch, wie aktuelle Verkaufszahlen aus Europa zeigen. Dass Kunden ihre Elektroautos (so lange Tesla noch welche hat) trotz aktueller Einschränkungen kontaktlos bekommen können, liegt auch an deren ausgeprägten Online-Fähigkeiten. Aber Tesla wollte schon vor Corona am liebsten alles online abwickeln und hat vor, auch nach der Krise darauf zu setzen.
Tesla überlässt vieles Kunden
Vor wenig mehr als einem Jahr, Anfang März 2019 und damit lange vor den ersten Corona-Fällen, kündigte Tesla-CEO Elon Musk überraschend an, seine Vertriebsstrategie umzustellen. Um das Model 3 endlich in der versprochenen Basis-Variante für 35.000 Dollar anbieten zu können, sollten viele Tesla-Filialen geschlossen und die Kosten für Vertrieb und Marketing drastisch reduziert werden. 78 Prozent der Kunden hätten ihr Model 3 ohnehin online bestellt, 82 Prozent ohne Probefahrt, schrieb Musk an seine Mitarbeiter.
Die Pläne behielten nur etwa eine Woche Gültigkeit, bis Tesla erste Schließungen teils sogar wieder rückgängig machte – und auch seine Preise wieder leicht erhöhte. Seitdem galt nicht mehr die radikale Parole, alle physischen Verkaufspräsenzen zu schließen, aber die Tendenz hielt an. Auch die Service-Center, die zunächst nur noch per App erreichbar waren (was nicht immer gut funktionierte), haben wieder Telefonnummern – aber es ist oft schwer, dort jemanden an den Hörer zu bekommen.
Tesla blieb also trotz Neueröffnungen von Präsenzen auch in Europa schlank besetzt und überlässt seinen Kunden traditionell gern einen guten Teil der Arbeit traditioneller Autohäuser. Das gilt für das Marketing, weil Teslas auch mit weniger großzügigen Referral-Prämien von begeisterten Besitzern weiterempfohlen werden. Und es gilt für Informationssuche und Bestellung. Das Internet ist voller unbezahlter Tesla-Erklärungen, und der Tesla-Bestellprozess ist dank wenig Optionen und übersichtlicher Web-Gestaltung problemlos in Eigenregie zu bewältigen.
Elektroautos ohne Rituale
Er habe neulich eine Wurzelbehandlung gehabt, sagte ein Analyst vor kurzem in einer Telefonkonferenz mit Tesla-Chef Musk – die sei aber nicht so schlimm gewesen wie der Kauf eines Autos bei einem traditionellen Anbieter. Musk stimmte lebhaft zu.
Denn das starke Setzen auf Selbst-Service und ein freies Tesla-Ökosystem mag vor allem Kunden Probleme machen, die enge Betreuung als Teil der Premium-Erfahrung verstehen. Tesla aber scheint einfach hervorragende Elektroautos verkaufen zu wollen, ohne sie mit liebgewonnen, aber nicht unbedingt sinnvollen Ritualen anzureichern. Dass nach den Online-Umstellungen die Kritik an Tesla insbesondere im Bereich des europäischen Service mindestens nicht weniger geworden ist, könnte bei Musk Teil von langfristigen Plänen sein, wie er sie auch sonst gern verfolgt. Noch ist das System so unperfekt wie der Autopilot, aber in den Augen des Tesla-Chefs hat es vielleicht ebenso wie dieser die Anlagen dazu, alles viel besser zu machen.
Auf dem durchaus langen und holprigen Weg zu seinen technischen Zielen konnte sich Musk bislang weitgehend darauf verlassen, dass seine frühen Kunden, bei denen es sich in vielen Fällen auch um überzeugte Anhänger handelt, Geduld haben. Ob das auch im entstehenden Tesla-Massenmarkt gilt und ob Teslas Kunden-Betreuung wirklich so automatisiert-fehlerarm werden kann, wie es der Autopilot werden müsste, um Autonomie-Zulassungen zu bekommen, ist eine offene Frage.
Krise geht, Tesla bleibt online
Aber Tesla ist offenbar entschlossen, das Experiment weiterzutreiben. Denn aus dem Unternehmen ist dazu zu hören, die Digitalisierung sei ebenso „Teil der Tesla-DNA“ wie deren bekanntere Ausprägungen. Die aktuellen Umstände seien in Europa keineswegs der Auslöser für die Entwicklung der Kontaktlos-Prozesse gewesen, die Tesla jetzt zugute kommen. Vielmehr habe man das Krisen-Umfeld genutzt, bestehende Konzepte zu beschleunigen und zumindest vorübergehend breit umzusetzen. Das hört sich nicht so an, als hätte Tesla von sich aus vor, nach Corona wieder stärker auf physische Kontakte zu setzen.