Im vergangenen Sommer machte sich Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess unter viel öffentlicher Anteilnahme mit einem VW ID.3 auf den Weg in den Urlaub zum Gardasee, um das neue Modell vor den anstehenden ersten Auslieferungen ausführlich zu testen (s. Foto). Auszusetzen hatte er wenig an dem Elektroauto, und auch das große Thema Laden erwies sich nach seinem Bericht als unproblematisch. Wie Diess an diesem Donnerstag wissen ließ, ist er jetzt erneut mit einem ID.3 unterwegs – aber dieses Mal beschwerte er sich öffentlich über das Lade-Angebot des Betreibers Ionity, zu dessen Gesellschaftern sein eigener Konzern gehört.
VW-Chef wieder im Elektroauto unterwegs
Die Kritik am eigenen Lade-Netz kam, nachdem zunächst ein Volkswagen-Sprecher Diess‘ Gardasee-Reise vom Vorjahr nachvollzogen und darüber auf LinkedIn berichtet hatte. Fast selbstverständlich war er voller Lob für den ID.3 einschließlich Lade-Möglichkeiten. Nur am Brenner müsse Ionity schnell nachrüsten, schrieb er am Montag über diese Station, denn sonst könne es dort im nächsten Jahr eng werden.
Darauf reagierte Konzernchef Diess. Er fahre derzeit einen ID.3 Pro S, erklärte er, und lobte dessen Reichweite, mit der man bei zurückhaltender Fahrweise sogar ohne Nachladen vom Bodensee zum Gardasee komme. Anders als der Sprecher stieß er allerdings am Brenner auf eine komplett ausgelastete Ionity-Station. Laut seinem LinkedIn-Kommentar fuhr Diess deshalb weiter nach Trento, aber was er dort vorfand, überzeugte ihn nicht: „Kein WC, kein Kaffee, eine Säule außer Betrieb/defekt, traurige Angelegenheit“, schimpfte der VW-Chef und wurde direkt: „Das ist alles andere als ein Premium-Ladeerlebnis, Ionity!“.
Solche öffentlichen Äußerungen von Diess dürften anders als bei Tesla-CEO Elon Musk, von dem er sich das regelmäßige Auftreten in sozialen Medien abgeschaut hat, nicht spontan sein. Offenbar will er sich also auf die Seite von Elektroauto-Fahrern und -Interessenten stellen, denen das Thema Laden immer noch mit die größten Sorgen bereitet – vor allem Neulinge berichten immer wieder von Lade-Katastrophen bei Langstrecken-Fahrten.
Ionity bei Tesla-Fahrern unbeliebt
Sich hier als selbst Betroffener zu präsentieren, scheint Diess so wichtig zu sein, dass er dafür sogar öffentlich ein Unternehmen kritisiert, das von Volkswagen mitgegründet wurde: Gesellschafter von Ionity bei der Gründung 2017 waren sein Konzern, BMW, Daimler und Ford, inzwischen ist Hyundai mit dazugekommen. Am Anfang war das entstehende Lade-Netz auch bei Tesla-Fahrern überaus beliebt, denn es war zwar dünn, aber schnell, und vor allem zunächst kostenlos und dann mit pauschal 8 Euro pro Ladung billig. Anfang 2020 aber folgte für Kunden ohne Vertrag eine drastische Preiserhöhung – ein Ionity-Manager gab sogar zu, dass sie auch gegen pauschal lange ladende Teslas mit ihren großen Akkus richtete.
Seitdem ist das deutsche Lade-Joint-Venture für Europa zumindest bei Tesla-Fahrern in Ungnade gefallen, und Meldungen über nicht funktionierende Säulen drückten noch weiter auf das Image. In die gleiche Kerbe schlug jetzt VW-Chef Diess mit seiner Kritik an der Station in Trento. Immerhin reagierte darauf der COO von Ionity, indem er erklärte, man arbeite an einer Verbesserung für den Standort, habe die defekte Säule dort schon repariert und werde an den meisten Stationen sechs Ladesäulen statt vier anbieten. Über das laut Diess fehlende Premium-Gefühl äußerte er sich nicht – aber wichtiger ist Elektroauto-Fahrern einstweilen wohl ohnehin, dass sie überhaupt problemlos schnellen Strom finden und bekommen können.