Oft und gern werden Tesla und seine Elektroautos als „disruptiv“ bezeichnet, also als Herausforderung, die eine etablierte Branche von Grund auf in Frage stellt. Entwickelt hat das Konzept des wirtschaftlichen Disruptors der Management-Professor Clayton Christensen – der bis zu seinem Tod in diesem Januar allerdings zu den wenigen Beobachtern zählte, die Tesla diesen Status nicht zusprechen wollten. Trotzdem scheint der Volkswagen-Konzern jetzt genau nach Christensens Lehre vorzugehen: Ein internes Audi-Team, das bis 2024 ein Tesla ebenbürtiges Elektroauto entwickeln soll, arbeitet daran in einem eigenen Unternehmen.
Porsche, Apple, dann Volkswagen
Der Ingenieur Alexander Hitzinger hat schon Rennautos für Porsche entwickelt und später autonome für Apple. Anfang 2019 kam er zurück zum Volkswagen-Konzern, zunächst als Vorstand in der Nutzfahrzeug-Sparte und dann als CEO einer Tochterfirma für autonomes Fahren. In diesem Mai wurde ihm das Projekt Artemis bei Audi übertragen, in dem bis 2024 ein neues Elektroauto entstehen soll – im internen Workshop dazu war von einem „Tesla-Jäger“ die Rede, wie VW-Konzernchef Herbert Diess vor kurzem bestätigte.
Schon zum Start hieß es, Artemis solle „schnell und unbürokratisch“ agieren können, also wie ein Start-up. Und wie Hitzinger am Sonntag auf LinkedIn informierte, hat die Gruppe jetzt tatsächlich den Status als unabhängiges Unternehmen bekommen.
„Auf Wiedersehen VW Autonomy, hallo ARTEMIS GmbH“, schrieb Hitzinger in seinem LinkedIn-Beitrag. Um eine echte Neugründung handelt es sich laut Handelsregister-Auszügen dabei nicht, sondern um eine Anfang November beschlossene Umbenennung der schon vorher von dem Tesla-Jäger geleiteten Autonomie-Tochter mit Sitz in Wolfsburg. Aber während die nur mit ihrem Teilgebiet beschäftigt war, wird der Geschäftszweck von Artemis jetzt mit „Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von Automobilen einschließlich deren Bestandteile und deren Zubehör“ angegeben.
Ganzheitlich entwickeltes Elektroauto
Mit einem Team aus nach seinen Angaben geplanten 200 bis 250 Personen (bislang sind es nur zehn) kann Hitzinger also tatsächlich agieren wie ein kleines Tesla. Genau das ist die Vorgehensweise, die Christensen als eine der Möglichkeiten zur Reaktion auf eine Disruption durch neue Technologie empfahl: Man gründe eine Tochter, die wie ein junger Konkurrent versucht, selbst disruptive Produkte zu entwickeln und zu verkaufen. Wenn sie Erfolg hat, profitiert die Muttergesellschaft durch ihre Beteiligung, die wertvoller werden kann als sie selbst, wenn nicht, bleibt zumindest das alte Geschäft erhalten.
Tatsächlich will Hitzinger die Entwicklung ganzheitlich angehen wie Tesla und dabei einen besonderen Schwerpunkt auf bessere Software legen. All das hänge bei Elektroautos miteinander und letztlich mit der Reichweite zusammen, wie er in einem Reuters-Interview erklärte. Völlig unabhängig von VW wird er dabei aber nicht agieren: Das Artemis-Elektroauto, entwickelt unter dem Codenamen Landjet, soll Komponenten von den nächsten Premium-Modellen von Porsche und Audi bekommen. Das spart auf der einen Seite Entwicklungszeit und -kosten, bedeutet auf der anderen Seite aber doch wieder Abhängigkeit von der langsameren Muttergesellschaft.
Bis 2024 auf Stand von Tesla?
Dennoch ist das Ziel, bis Ende 2024 ein Elektroauto herauszubringen, das Tesla in jeder Hinsicht mindestens ebenbürtig sein soll, deutlich gesetzt und ambitioniert. In einem weiteren LinkedIn-Beitrag informierte Hitzinger zudem, seine (wohl als Gründung verstandene) Artemis-Meldung habe enormes Interesse von neuen Bewerbern ausgelöst. Auch das dürfte ein wichtiger Faktor bei dem Vorhaben sein, dem Pionier verspätet Paroli zu bieten.