Und täglich grüßt das Murmeltier. Ein Studie aus zweifelhafter Quelle rechnet mit zweifelhaften Annahmen zweifelhafte Ergebnisse zu Elektroautos aus. Dieses Mal: Eine Studie im Auftrag des Verbands Deutscher Ingenieure (VDI), durchgeführt vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dort im Speziellen von Prof. Dr. Thomas Koch, Leiter des Instituts für Verbrennungskraftmaschinen (IFKM).
Absurde Elektroauto-Annahmen
Die Studie selbst kommt tatsächlich zu einem relativ differenzierten Ergebnis und sieht Vorteile für alle Antriebsarten, der Tenor lautet „das Elektroauto ist nicht per se besser als ein Verbrenner und es wird in Zukunft alle Antriebsarten brauchen“. Leider kam das in der Berichterstattung über die Studie anders rüber, aber daran sind ja nicht die Autoren schuld, deshalb unten noch eine kleine Medienkritik. Nichtsdestotrotz wurden einige Annahmen getroffen, die entweder objektiv falsch oder zumindest sehr fragwürdig sind, auf die möchte ich nachfolgend eingehen.
Die Autoren versuchen, einen „Diskurs“ herbeizuschreiben, eine Uneinigkeit innerhalb der Wissenschaft, als ob es verschiedene Meinungen zu dem Thema gäbe, und zitieren dafür unter anderem das Papier von Sinn et al, das Elektroautos unter völlig absurden Annahmen schlecht rechnet und mehrfach widerlegt wurde, unter anderem von den Professoren Burger (Fraunhofer ISE) und Lienkamp (TU München) in der Wirtschaftswoche. Ein so durch und durch fehlerhaftes Papier sollte eigentlich niemand mehr zitieren, der Interesse an einer seriösen Debatte hat.
Veralteter Zelltyp angenommen
Das IFKM nimmt Batteriezellen vom Typ NMC111 an, die also zu gleichen Teilen Nickel, Mangan und Kobalt enthalten. Es gibt allerdings schon längst NMC622-Zellen, also Zellen mit deutlich höherem Nickel- und dafür weniger Kobalt-Anteil. Diese werden zwar als positive Perspektive erwähnt, allerdings nicht in den Diagrammen gezeigt.
Noch bis 2030 mit NMC111 zu rechnen, ist vollkommen abwegig, da eben NMC622 Stand der Technik und perspektivisch NMC822 zu erwarten ist. Damit wird schon der aktuelle Stand der Technik vernachlässigt und angenommen, dass Akkus in den nächsten zehn Jahren auch keine Fortschritte machen werden.
Dass Tesla mit LFP bereits Fahrzeuge mit kobaltfreien Akkus im Angebot hat, wird ebenfalls nicht berücksichtigt. Gewissermaßen rechnet die Studie also in der Vergangenheit.
Zudem wird angenommen, dass alle Akkus in China produziert werden (was nicht stimmt, Tesla baut seine in Amerika, Samsung sitzt in Südkorea, mit Northvolt bekommt auch Europa bald eine Zellfertigung, und selbst die chinesische CATL baut eine Akkufabrik in Deutschland). Dementsprechend schlecht sind die CO2-Werte angenommen – mit 124 bis 185 kg CO2 pro kWh. Realistisch sind aber 61 bis maximal 106 kg CO2/kWh, also im krassesten Fall fast nur noch ein Drittel von dem, was Koch et al annehmen. Der als so übergroß dargestellte CO2-Rucksack der Antriebsbatterie schrumpft mit anderen Annahmen also sehr deutlich zusammen.
Second Life Betrachtung fehlt
Betrachtet wird nur bis zu einer Maximalfahrleistung von 300.000 km, was prinzipiell richtig ist, da die meisten Autos im Schnitt schon deutlich vorher verschrottet werden. Allerdings halten die Akkus sehr viel länger, können also nach dem Einsatz im Fahrzeug im sogenannten Second Life weiter genutzt werden und dort weiter CO2 einsparen. Schon ältere Akkus schaffen über 500.000 Kilometer, neuere über eine Million Meilen. Es wäre grotesk, diese nach 300.000 km zusammen mit dem Auto zu verschrotten und nicht noch viele Jahre z.B. als Heimspeicher einzusetzen.
Ein Verbrennungsmotor hingegen hält selten länger als das Auto drumherum und es gibt auch keinen sinnvollen, CO2 einsparenden Second-Life-Einsatz für sie.
An anderer Stelle in der Studie wird aber sogar nur mit 72.000 km Fahrleistung gerechnet – das ist absurd wenig (Zur Einordnung: Das hat mein Vater im Außendienst mit einem Model S in etwas über einem Jahr runtergefahren) und bringt natürlich völlig falsche Ergebnisse.
Verzerrte Verbrauchswerte
Die für das Elektroauto angenommenen 15,8 kWh/ 100 km schafft ein Tesla Model 3 im Realbetrieb mit allen Verlusten gut, das ist also ein sehr fairer Wert. Ihn mit einem Fahrzeug mit 4,5 Litern Dieselverbrauch zu vergleichen, passt jedoch nicht, denn das schafft kein zu einem Model 3 vergleichbares Auto (z.B. die Mercedes C-Klasse) im Realbetrieb bei normaler Fahrweise – möglich ist es nur im Normzyklus. Hier hätte entweder ein noch niedrigerer Wert für das BEV oder ein realistischerer für den ICEV genommen werden müssen (Beispiel: Mercedes C-Klassen ab BJ 2019 laut Spritmonitor: 6,2 l/ 100km).
Darüber hinaus wird einerseits für 2030 eine hohe Beimischungsquote synthetischer Kraftstoffe angenommen – also eine sehr positive Annahme für den Verbrennungsmotor (die vielleicht nie Realität wird, weil es viel zu teuer ist). Andererseits wird bei den Elektroautos ein Strommix angenommen, den wir nur haben, wenn die EU die Pariser Klimaziele verfehlt, also ein negatives Szenario. Entweder vergleicht man konsequent best cases oder worst cases, aber nicht bei einer Technologie den besten und bei der anderen den schlechtesten Fall.
Elektroauto-Realität ist besser
Korrigiert man all diese Fehlannahmen, sehen die Kurven auf einmal ganz anders aus, wie Auke Hoekstra von der TU Eindhoven zeigt. Elektroautos schneiden dann klar besser ab und Verbrennungsmotoren sind in keinem Fall besser. Mit realitätsnahen Annahmen ist diese Studie also kein Argument gegen mehr Elektroautos, sondern eher für eine schnelle Elektrifizierung.
German quality newspaper @handelsblatt reports on new anti-EV study by German society of engineers VDI (@VDI_News).
VDI states that electric vehicles emit more CO2 than combustion engine vehicles due to battery production.
But VDI uses wrong numbers for…
battery production. pic.twitter.com/bsPbcpQrnU— AukeHoekstra (@AukeHoekstra) November 2, 2020
Doch trotz aller Fehlannahmen stehen in der Zusammenfassung der Studie doch einige brauchbare Aussagen. Sie sollen hier nicht unerwähnt bleiben, deswegen gebe ich sie sinngemäß kurz wieder:
– NMC622 Akkuzellen könnten eine deutlich Verbesserung bringen
– Alle Antriebe haben CO2-Einsparpotential, auch BEVs
– Die Bilanz von Elektroautos verbessert sich mit Recycling des Akkus deutlich
– Eine Technologie alleine wird nicht ausreichen (Anmerkung: Im PKW werden BEVs wohl reichen, aber für andere Anwendungen wird an Wasserstoff und auch an Verbrennungskraftmaschinen tatsächlich kein Weg vorbeiführen)
Autoren mit Verbrenner-Interessen
Nach den inhaltlichen Ausführungen muss jetzt noch etwas Quellenkritik sein: Prof. Dr. Koch arbeitete 10 Jahre in der Nutzfahrzeugmotoren-Entwicklung bei Daimler, als eines seiner Interessen wird unter anderem die weitere Verbesserung des Verbrennungsmotors angegeben. Seine Co-Autoren, Dr. Olaf Toedter (Leiter neue Technologien und Zündsysteme) und Philipp Weber (wissenschaftlicher Mitarbeiter) haben ebenfalls einen starken beruflichen Bezug zum Verbrennungsmotor.
Das ist an sich nichts Schlimmes, allerdings sollte doch bedacht werden, dass alle drei Autoren ein großes Interesse daran haben, dass es den Verbrennungsmotor noch lange Zeit gibt und an diesem noch lange Zeit geforscht wird. Es ist nicht zu erwarten, dass eine Studie von Motorenentwicklern zu dem Ergebnis kommt, Verbrennungsmotoren seien etwas Schlechtes. Eine Studie der Mineralölindustrie wird auch niemals zu dem Ergebnis kommen, dass Benzin etwas Schlechtes sei.
Ein Gschmäckle (so nennt der Schwabe es, wenn ein Sachverhalt zum Himmel stinkt) bekommt die Studie dadurch, dass Thomas Koch 2019 das berühmt-berüchtigte Papier von Dieter Köhler unterzeichnete, in dem „Lungenärzte“ (augenscheinlich nicht nur, wie die Personalie Koch zeigt) erklärten, dass Dieselabgase eigentlich total harmlos seien. Das Pikante daran: Köhler hat sich ganz plump um mehrere Größenordnungen verrechnet – wenn man diesen Fehler korrigiert, kommt heraus, dass Dieselabgase doch gar nicht so gesund sind. Dass einem Profi wie Koch dieser grobe Fehler nicht aufgefallen ist, könnte die Vermutung nahelegen, dass er einfach alles blind unterschreibt, was dem Diesel hilft – völlig egal, ob richtig oder falsch. Das muss natürlich keineswegs so sein, aber den Verdacht wäre er erst los, wenn er sich klar und deutlich von Köhlers Unwahrheiten distanziert hätte, was er nicht hat.
Ein Armutszeugnis für den Journalismus
Zum Abschluss noch eine kleine Medienkritik: Die Fehlannahmen sind teils so offensichtlich (gerade die Annahme, Akkus würden nur in China produziert), dass sie in jeder seriösen Redaktion hätten auf- und durchfallen müssen. Hier haben sich große Teile der deutschen Medienlandschaft nicht mit Ruhm bekleckert und die Falschbehauptungen aus der Pressemitteilung ungeprüft und unkommentiert übergenommen – ein Armutszeugnis. Es ist völlig durchschaubar und auch legitim, dass ein Institut für Verbrennungsmotoren ausrechnet, dass Verbrennungsmotoren gut sind.
Es ist auch nicht verwunderlich, dass der VDI (unter dessen Mitgliedern sehr viele Ingenieure alter Schule sind, für die der Verbrennungsmotor das Nonplusultra ist) so ein Papier dankend annimmt und weiterverbreitet. Aufgabe der Medien wäre es gewesen, die Ungenauigkeiten und Fehler zu benennen, zumindest aber dreißig Sekunden in eine Google-Suche zu investieren, um den Hintergrund der Autoren zu erfahren und transparent zu machen. Denn „ein Ingenieursverein hat berechnet, dass Elektroautos schlecht sind“, ist nun mal etwas völlig anderes als „drei Verbrennungsmotorenentwickler rechnen aus, dass Verbrennungsmotoren besser sind als Akkus.“
Und bei aller Kritik an VDI und IFKM muss eines auch gesagt werden: Die Studie betont klar die Vorteile und Verbesserungspotentiale von Elektroautos – diese differenzierte Ansicht hat kaum eine Zeitung adäquat wiedergegeben.
Nachtrag: Eine Stellungnahme beim KIT ist angefragt und wird ergänzt, sobald ich sie habe. Aus internen Kreisen ist zu hören, dass längst nicht alle dort die Meinung des Kolbeninstituts vertreten und auch nicht jeder glücklich damit ist, dass ausgerechnet „Kolbenprofessor“ Koch die Elektroauto-Studie bekommen hat.
Funfact: Das KIT ist an diversen Kompetenz-Clustern für Batterieforschung beteiligt, für Verbrennungsmotoren gibt es solche Engagements nicht – das sagt ja auch schon etwas aus.
Autor: Robin Engelhardt. Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung übernommen aus seinem persönlichen Blog.