Die Financial Times (FT) hat einen ausführlichen Artikel zu den Elektroauto-Plänen von Volkswagen veröffentlicht und dazu auch mit dem Konzernchef Herbert Diess gesprochen. In den nächsten neun Jahren sollen die VW-Marken demnach 26 Millionen Elektroautos produzieren und damit Tesla als weltgrößten Hersteller ablösen. Und anders als in der Branche vielfach erwartet wird, glaube Volkswagen sogar, fast vom Start weg Gewinne damit machen zu können.
„Bei den Preisen für die nächste Generation ist die Profitabilität auf dem Niveau eines Golf“, sagte Diess der Zeitung mit Blick auf Elektroautos von VW. Als erstes Elektro-Modell aus dem Konzern werde ein Batterie-Auto in Tiguan-Größe, das nächstes Jahr auf den Markt komme, Margen auf Golf-Niveau erreichen. Andere Autohersteller wie Toyota und General Motors dagegen haben laut FT zu erkennen gegeben, dass sie bei Elektroautos erst in vielen Jahren oder sogar einem Jahrzehnt mit vergleichbar hohen Gewinnen rechnen wie in ihrem angestammten Geschäft.
Ambitionierte Kultur mit zwei Seiten
Tesla hatte Volkswagen Ende 2019 beim Börsenwert überholt, obwohl der deutsche Konzern pro Jahr derzeit mehr als 20-mal so viele Autos verkauft wie der US-Elektropionier. Ein Analyst der deutschen Bank Metzler bescheinigte VW zumindest erheblichen Ehrgeiz. Nach dem Bericht der Zeitung war die ambitionierte Kultur im Haus Volkswagen allerdings zum Teil auch dafür verantwortlich, dass es dort zum Diesel-Skandal ab 2015 kommen konnte.
Wie Diess im Gespräch mit der FT einräumte, hängt die Elektro-Offensive von Volkswagen in erheblichem Maß mit strengeren CO2-Emissionsvorschriften auf EU-Ebene zusammen; von diesem Jahr an dürften Autos in der Union nur noch durchschnittlich 95 Gramm pro Kilometer ausstoßen, ansonsten drohen Milliarden-Strafzahlungen. Jedoch sagte Diess, Volkswagen sei nicht unglücklich über die neuen Regeln: „Wenn die Gesellschaft sagt, okay, wir wollen Elektroautos, dann ist das sogar gut für uns.“
VW will gesehen werden wie Tesla
Diess ist nach eigenen Angaben zuversichtlich, dass auch mangelnde Verfügbarkeit von Batteriezellen Volkswagen nicht aufhalten wird – obwohl die Produktion des Audi e-tron mehrfach stockte, nach Berichten wegen „Lieferschwierigkeiten bei Batterie-Komponenten“. Auch der Termin für den Marktstart des elektrischen Golf-Pendants ID.3 soll nach aktuellen Berichten gefährdet sein, was Volkswagen aber zurückwies.
Langfristig will Diess laut FT dafür sorgen, dass Volkswagen an der Börse stärker wie Tesla behandelt wird und die VW-Marktkapitalisierung 200 Milliarden Dollar erreicht, was mehr als doppelt so viel wäre wie derzeit. Tesla-Chef Elon Musk gehe Risiken ein, die Volkswagen nicht auf sich nehmen könne, erklärte er jetzt im Interview. Das mache die beiden Unternehmen aber zu einem „guten Paar“: „Er geht voran und wir folgen schnell hinterher, wir versuchen so nah dranzubleiben wie möglich“, sagte Diess über Musk. Die beiden Manager hatten sich in der Vergangenheit mehrfach gegenseitig ihren Respekt ausgesprochen.
VW-Chef mutiger als Tesla-Chef?
Neben Tesla sieht Diess auch andere finanzstarke Unternehmen aus der US-Technologieszene als potenziell ernst zu nehmende Konkurrenten. Diese Unternehmen müssten viel investieren, um ins Autogeschäft einzusteigen, „aber sie sind so reich, dass sie es könnten“. Die wichtigsten Differenzierungsmerkmale für die Branche würden in der Zukunft in Software, direktem Kundenkontakt und Autos als Internet-Geräte liegen, erklärte der Volkswagen-Konzernchef. Laut einem von der FT zitierten Finanzmarkt-Spezialisten ist Diess insofern auf gewisse Weise sogar „mutiger“ als Tesla-Chef Musk: „Er muss diesen Übergang mit den vier Prozent Gewinnmarge der Marke VW finanzieren.“