Noch gibt es einige Unternehmen, die an der Börse mehr wert sind als Tesla, aber deren Zahl wird angesichts des schnellen Kursanstiegs immer kleiner. Darüber hinaus ist Tesla für die Börse jetzt schon bedeutender, als allein diese Kennzahl vermuten lässt – laut einem Bericht der Financial Times (FT) ist ein ganzer Finanzkomplex um das Unternehmen herum entstanden, einschließlich Optionsgeschäften in beispiellosem Volumen. Man könne das Tesla-Phänomen fast schon nicht mehr in Worte fassen, sagte ein Stratege der Zeitung: Das wäre so, als wollte man in einer zweidimensionalen Welt das Wort „aufwärts“ erklären.
Mehr Options- als Aktienhandel
Mit Aktien-Verkäufen, die er zum Teil schon länger angemeldet hatte und zu denen er sich kurz vorher noch per Twitter-Abstimmung verpflichtete, hat CEO Elon Musk der zuvor steil gestiegenen Tesla-Aktie Anfang November zwar einen kräftigen Dämpfer verpasst. Doch sie fiel nur kurz unter die erst im Oktober genommene Marke von 1000 Dollar. Zuletzt gab es mit gut 4 Prozent auf 1109,03 Dollar wieder einen größeren Verlust, weil Musk erneut knapp 1 Million Aktien verkaufte. Doch in diesem Jahr hat Tesla bislang 475 Milliarden Dollar an Wert gewonnen, hielt die FT am Dienstag fest – einmal ganz Procter & Gamble oder JPMorgan, oder auch zweimal McDonald’s.
Und die hohe Marktkapitalisierung ist laut der Zeitung nur der am besten bekannte Teil der Geschichte. Um Tesla herum sei schon ein ganzer „Finanzkomplex“ entstanden, schreibt sie. Er bestehe aus anderen Anlage-Instrumenten mit Tesla als Basis, reichlich Unternehmen, die dem Pionier an der Börse nacheifern und einem Derivate-Markt von beispielloser Tiefe, Breite und Hyperaktivität. Nach Ansicht mancher Analysten habe es möglicherweise noch nie ein einzelnes Unternehmen gegeben, das so starken Einfluss auf den gesamten Markt hat wie Tesla.
Speziell das Volumen an Optionsgeschäften in der Tesla-Aktie stellt aktuell alles in den Schatten, berichtet die FT weiter. Durchschnittlich betrug es zuletzt 241 Milliarden Dollar pro Tag, fast zweimal so viel wie bei Amazon und das Doppelte des Volumens im gesamten restlichen Index S&P 500. Bei Tesla sei es schon immer übergroß gewesen, heute sei es riesig, erklärte ein Beobachter. Ohne Tesla und Amazon hätte das Volumen an Aktien-Geschäften das in Optionen im November übertroffen, wie es der Normalfall ist oder zumindest war, mit ihnen war es deutlich niedriger.
Tesla mit eigener Börsen-Realität
Gleichzeitig schafft sich Tesla an der Börse so etwas wie eine eigene Realität. Aktive Fondsmanager, die bislang nicht in das Unternehmen investieren wollten, haben dadurch ihren relativen Performance-Vorsprung für dieses Jahr verloren, berichtete die FT unter Berufung auf Daten von Wells Fargo. Manche würden inzwischen bei Tesla einsteigen, nur aus Angst, ansonsten weiter zurückzufallen, sagte ein Anlage-Experte. Wer als Leerverkäufer sogar aktiv gegen Tesla wettete, hat sogar absolut gesehen massiv verloren – alle zusammen in diesem Jahr bislang 11 Milliarden Dollar. So trage Tesla viel dazu bei, die verbliebene Glaubwürdigkeit von aktivem Fonds-Management zu zerstören.
Stärker als mit allgemeinen Markt- oder Wirtschaftstrends korreliert die Tesla-Aktie zudem mit der Kryptowährung Bitcoin. Derzeit scheine sie von einer Makro-Mischung aus steigenden Inflationserwartungen und schwierigeren Kredit-Märkten gestützt, häufig aber lasse sie sich von derlei externen Trend wenig beeindrucken. Oft werde die Aktie stattdessen von spezifischen Einzelfaktoren getrieben, sagte ein quantitativer Analyst der FT: zum Beispiel von Twitter-Nachrichten von CEO Elon Musk. Zusätzlich profitiere nicht nur Tesla selbst, sondern eine komplette neue Branche von der Börsen-Begeisterung für Elektroautos. Rivian zum Beispiel ging vor kurzem mit einer Bewertung von mehr als 100 Milliarden Dollar aus dem ersten Handelstag, das deutsche Start-Up Sono Motors startete ohne jeglichen Umsatz bei fast zwei Milliarden Dollar.
Blase im Tesla-Windschatten
Mindestens im Windschatten von Tesla sieht es also nach einer Blasenbildung wie zu Dotcom-Zeiten aus – damals stieg fast alles, was nach Internet klang, vorübergehend in luftige Höhen, und nach Umsätzen oder gar Gewinn wurde ebenfalls wenig gefragt. Wie lange so etwas anhält, weiß man natürlich immer erst hinterher. Wenn es zu einem echten Einbruch bei Tesla käme, könnte das laut dem FT-Bericht Schockwellen im gesamten Finanzmarkt auslösen. Aber dafür müsste in der aktuellen Stimmung offensichtlich einiges passieren: Das Tesla-Minus von rund 16 Prozent innerhalb von zwei Tagen zu Beginn der Musk-Verkäufe reichte jedenfalls nicht aus, um erkennbar die ganze Börse aus dem Tritt zu bringen.