Mit einem selbst berechneten Charging Index hat die deutsche Unternehmensberatung P3 group Ende 2019 eine neue Praxis-Kennzahl für das Nachladen von Elektroautos auf längeren Strecken vorgeschlagen. Die erste Studie dazu sorgte für Aufsehen, weil der damals neue Porsche Taycan trotz weitaus höheren Norm-Verbrauchs einen besseren P3-Wert erzielte als das Tesla Model 3 – ebenso wie der VW ID.3, der noch gar nicht auf dem Markt war. Jetzt hat P3 eine neue Auflage seines Charging Index veröffentlicht. Darin liegt das Model 3 knapp vor den beiden deutschen Elektroautos – aber dafür hat ein anderes die Spitze übernommen.
Mercedes EQS im Charging Index vorn
Der P3 Charging Index ergibt sich aus dem Verbrauch pro 100 Kilometer und der Rate, mit der anschließend neuer Strom nachgeladen werden kann. Auf dieser Grundlage berechnet die Unternehmensberatung, wie viel neue Reichweite man unterwegs mit unterschiedlichen Elektroautos innerhalb von 20 Minuten bekommt. Als Ziel für einen Index-Wert von 1 gibt sie 300 Kilometer vor, die nach ihrer neuen Auswertung noch von keinem Modell erreicht werden. Sowohl für Verbrauch als auch für Lade-Rate werden Praxis-Werte herangezogen, beim Verbrauch möglichst aus dem ADAC ecotest.
Den höchsten Wert in der aktualisierten Index-Liste erreicht laut P3 das Mitte April offiziell vorgestellte Luxus-Elektroauto Mercedes EQS. Seine 0,88 Punkte entsprechen 266 Kilometern neuer Reichweite nach 20 Minuten laden – dabei haben die Berater seinem Norm-Verbrauch einen geschätzten Zuschlag um 29 Prozent angerechnet, weil noch kein ecotest-Ergebnis für ihn vorliegt. Zweitschnellster ist nach der P3-Definition jetzt das Tesla Model 3 Long Range. Es hat nach 20 Minuten neuen Strom für 221 Kilometer im Akku und bekommt dafür 0,74 Punkte.
Unmittelbar dahinter liegt der VW ID.3 mit 220 Kilometern oder 0,73 Punkten. Und erst dann folgt mit 0,72 Punkten oder 217 Kilometern der Porsche Taycan als das am schnellsten ladende Elektroauto aus dem P3-Vergleich von Ende 2019. Bei dem Porsche blieb der Index-Wert gleich, beim ID.3 verbesserte er sich leicht. Das Tesla Model 3 profitierte wohl vor allem davon, dass das Fenster für die Berechnung der durchschnittlichen Ladeleistung vergrößert wurde. Es reicht weiter bis 80 Prozent, beginnt aber jetzt bei 10 Prozent statt bei 20 Prozent – und ziemlich genau bei 10 Prozent erreicht die Ladeleistung beim Model 3 kurz den Höchstwert bei 250 Kilowatt.
Herausforderer Tesla Model S erst 2022
Dass sich der Mercedes EQS in diesem anspruchsvoller werden Umfeld klar durchsetzte, ist umso bemerkenswerter, als er allein bei der höchsten Ladeleistung nicht an der Spitze liegt. Die behält mit etwas über 250 Kilowatt der Porsche Taycan vor dem Model 3. Aber der neueste Elektroauto-Versuch deutscher Herkunft, das erste grundlegend neu entwickelte bei Mercedes, ist zugleich relativ sparsam. Sein Norm-Verbrauch liegt sogar unter dem von ID.3 und Model 3, sodass er auch mit geschätztem Praxis-Zuschlag nicht viel mehr Strom braucht als der Tesla. Ab etwa 30 Prozent Akku-Stand liegt seine langsamer abfallende Ladeleistung zudem über der beim Model 3.
Damit sieht es so aus, als hätte Mercedes beim EQS zusätzlich zu der einstweilen höchsten Reichweite aller Elektroautos in Europa auch das führende Nachlade-Tempo ermöglicht. Das Luxus-Auto mit Batterie-Boden soll ab diesem Sommer ausgeliefert werden. Mindestens ein halbes Jahr lang dürfte es ab dann beide Titel behalten, denn vor dem aufgefrischten Model S, dessen Europa-Auslieferungen Tesla soeben auf 2022 verschoben hat, ist kein anderer Herausforderer in Sicht.