Die Idee ist so gut, dass fast jeder gern glaubte, Tesla habe sie tatsächlich schon umgesetzt, als darüber berichtet wurde: Das Model 3 soll ab Werk mit Technik für bidirektionales Laden ausgestattet sein, die nur auf eine Freischaltung per Software warte, damit die Elektroautos bei Bedarf Strom ins Netz speisen und so Geld verdienen können wie anderswo stationäre Tesla-Großakkus, meldete der Blog Electrek. Doch der Techniker, auf dessen Analysen der Bericht basierte, hat sich inzwischen in einem entscheidenden Punkt korrigiert.
Täuschende Ähnlichkeit auf Tesla-Platine
„Da habt ihr es: Die Autos von Tesla unterstützen derzeit kein V2G“, sagt die Moderatorin des YouTube-Kanals Transport Evolved in einem aktuellen Video zu der angeblichen Netzeinspeise-Fähigkeit des Model 3, die mit Vehicle to Grid oder eben kurz V2G bezeichnet wird. Und damit hat sie mindestens insofern Recht, als der Experte, auf dessen Analyse sich Electrek berief, ungefähr zur gleichen Zeit in einem Kommentar zu einem anderen Video erklärte, die Aussage zum bidirektionalen Laden zurücknehmen zu müssen.
Denn ihm war bei seinen eingehenden Untersuchungen trotzdem entgangen, dass einige Bauteile auf der Platine des Tesla-Ladegeräts zwar wie viele andere aussehen wie Mosfet-Transistoren, aber gar keine sind. Stattdessen handelt es sich um Dioden, wie ein näherer Blick auf die Kennzeichnung in dem Video des Nutzers Ingineerix verrät; darauf beruft sich auch der Erklär-Film von Evolved. Und Dioden sind elektrisch gesehen das exakte Gegenteil von Bidirektionalität, denn sie lassen Strom nur in eine Richtung durch.
Die Aufregung um V2G von und mit Tesla legte sich trotzdem nicht sofort. In Reaktionen auf beide Videos erklärten manche Nutzer, Ingineerix habe mit einem Ladegerät von 2018 gearbeitet. Das ist richtig, aber der von Electrek zitierte Techniker hatte ein neueres – und bestätigte in seinem Kommentar, die Dioden bei seiner Analyse übersehen zu haben. Damit bliebe die Möglichkeit, dass Tesla nur in noch neueren Elektroautos Zurück-Laden schon vorbereitet hat, aber die ist vorerst rein theoretisch.
Strom-Weg am Tesla-Supercharger frei
Allerdings kristallisierte sich in der Diskussion um die potenziell bedeutende Neuerung auch heraus, dass die Dioden-Einbahnstraße nur das Einspeisen von Wechselstrom über eine Heim-Ladestation zurück ins Netz verhindern würde – der Weg für Gleichstrom dagegen ist bei dem untersuchten Model 3 offenbar tatsächlich schon in beide Richtungen frei.
Dies würde zum einen die Abnahme von Strom aus dem Tesla-Akku für das allgemeine Netz über einen externen Wechselrichter erlauben, was aber Aufwand und Kosten bedeutet. Teslas Supercharger aber enthalten ohnehin leistungsfähige Wechselrichter, um aus Wechsel-Netzstrom Akku-Gleichstrom zu machen, und diese könnten in beide Richtungen eingesetzt werden. Zumindest beim Laden am Supercharger könnte Tesla also netzdienlich nicht nur die Leistung reduzieren, sondern bei Bedarf auch Strom zur Verfügung stellen – wenn die Fahrer damit einverstanden sind. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt sind zwar wahrscheinlich weniger Teslas am Supercharger als zuhause an der Ladestation. Aber dafür ließen sich über Supercharger-Technik pro Auto deutlich höhere Leistungen entnehmen.
Mit welchen Strom-Mengen es Tesla inzwischen allein an seinen Superchargern weltweit zu tun hat, zeigt zumindest indirekt eine vor kurzem veröffentlichte Grafik zu den täglichen Lade-Vorgängen im Zeitverlauf einschließlich dem Einbruch in der Corona-Krise. Absolute Zahlen sind ihr nicht zu entnehmen, aber zum Beispiel in China eine Zunahme um fast 100 Prozent innerhalb eines Jahres.