Dass Peter Rawlinson, der frühere Chef-Ingenieur für das Model S, mit seinem neuen Arbeitgeber Lucid Motors Tesla unter anderem bei der Reichweite auf den Fersen ist, war schon länger klar. Zunächst sprach er von einem Elektroauto mit mehr als 400 Meilen pro Ladung, was dem aktuellen Tesla Model S entspricht, am Wochenende erhöhte Lucid via Twitter sogar auf mindestens 441 Meilen. Jetzt aber wurde eine offizielle Test-Reichweite für das luxuriös angelegte Elektroauto namens Air bekannt gegeben. Und mit 517 Meilen (832 Kilometer) könnte Rawlinson die Latte tatsächlich erstmals höher legen als Tesla mit seinem früheren Produkt Model S.
Größerer Akku bei Tesla angekündigt
Zwei Fragen sind dabei allerdings vorerst offen. Die vielleicht wichtigere lautet, ob Tesla sich das gefallen lassen wird. Mehr Wettbewerb bei Elektroautos ist ein erklärtes Ziel von CEO Elon Musk, und Tesla dürfte darin nicht für alle Zeit in jeder Hinsicht führend bleiben. Aber stehenbleiben will Musk gewiss auch nicht, und für seine beiden bisherigen Flaggschiffe Model S und Model X hat er schon größere Akkus angekündigt, vor Ende dieses Jahres zusammen mit der neuen Antriebsoption Plaid zunächst für das Tesla Model S. Zudem steht der Batterie-Tag bei Tesla an, der weit reichende Informationen auch zu besseren Akkus erwarten lässt.
Zweitens hat Lucid bislang nicht verraten, wie groß der Akku in seinem Air-Elektroauto sein wird; bei Tesla sind es derzeit maximal rund 100 Kilowattstunden. Rawlinson betonte am Dienstag zwar, dass die eigene Super-Reichweite durch besonders effiziente Technologie erreicht worden sei. Eine wichtige Rolle dürfte angesichts des großen Vorsprung vor Tesla von rund 28,6 Prozent aber auch schlicht mehr Kapazität spielen.
Dazu äußerte sich Lucid jetzt nur indirekt: Die Größe des Akkus habe gegenüber dem Alpha-Prototypen mit 400 Meilen Reichweite sogar verringert werden können. Eine offizielle Angabe zu dessen Kapazität existiert nicht, in Berichten werden 130 Kilowattstunden erwähnt. In einem Forum wurde grob ausgerechnet, dass auch das Tesla Model S bei seiner aktuellen Effizienz diesen Wert bräuchte, um dieselbe Reichweite wie der Lucid Air zu schaffen. Die Angabe von 517 Meilen wurde nach Angaben des Unternehmens von einem Prüf-Institut nach den Regeln der US-Norm EPA ermittelt.
Höhere Spannung in neuen Elektroautos
Ein Teil der hohen Effizienz bei Lucid soll durch das Spannungsniveau von 900 Volt für Batterien und Antrieb zustande kommen. Hier hatte erstmals Porsche mit 800 Volt in seinem Elektroauto Taycan die 400 Volt von Tesla übertroffen – bei der gesamten Effizienz aber keineswegs, was zeigt, dass höhere Spannung allein nicht ausreicht. Dennoch hilft sie, Verluste zu verringern. Und auch Hyundai, wo das effiziente Elektroauto Ioniq zu einer eigenen neuen Marke werden soll, will zusammen mit Kia noch 2021 zwei E-Crossover mit 800 Volt herausbringen.
Die offizielle Vorstellung für den Lucid Air (voraussichtlich einschließlich Akku- und Preis-Daten) ist für den 9. September geplant, der Produktionsbeginn für Anfang 2021. Sehr viel Zeit bleibt Tesla-CEO Musk also nicht mehr, um zu verhindern, dass er die Reichweiten-Krone zumindest vorübergehend an seinen früheren Chef-Ingenieur abgeben muss.